Tod in schwimmenden Konzentrationslagern

■ Vor 50 Jahren wurde die „Cap Arcona“ versenkt: Mehr als 8.000 Häftlinge starben

Ein militärischer Irrtum führte in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges zu einer Katastrophe: am 3. Mai 1945 griffen britische Kampfflugzeuge in der Lübecker Bucht einen Schiffskonvoi an, auf dem sich jedoch nicht die vermuteten deutschen Soldaten, sondern Häftlinge aus Konzentrationslagern befanden. Mehr als 8.000 Menschen verbrannten, ertranken oder wurden an Land von SS- Mannschaften erschossen.

Tagelang schon hatten sie vor Neustadt festgelegen, das ehemalige Kreuzfahrtschiff Cap Arcona, die Frachter Thielbek und Athen, die Lastkähne Vaterland und Wolfgang – mit ausgemergelten, mit sterbenden Menschen überladen. Als Auschwitz, Ravensbrück, Buchenwald schon befreit waren, als die SS in den noch bestehenden Lagern Massenerschießungen durchführte, waren mehrere tausend Gefangene aus den KZs Neuengamme und Stutthof bei Danzig an die Küste gebracht und auf die beschlagnahmten Schiffe getrieben worden. Einem Befehl Himmlers zufolge durften sie nicht in die „Hände des Feindes“ geraten.

Doch es gab kein Ziel mehr, wohin die Häftlinge hätten gebracht werden können. An Bord der teils manövrierunfähigen Schiffe noch immer scharf bewacht, fielen Hunderte von ihnen der Entkräftung, dem Hunger, den Krankheiten zum Opfer. Verhandlungen eines selbstorganisierten Häftlingsrates mit der zivilen Schiffsbesatzung wurden von der SS unterbunden. Die anhaltende Passivität zeigt, daß offenbar gerade dies geplant war: die Menschen dem langsamen Sterben zu überlassen.

Am 3. Mai 1945 fand das brutale Kalkül der SS-Führung ein grauenvolles Ende: Kurz nach Mittag griffen britische Kampfflugzeuge die Häftlingsschiffe an, schossen sie in Brand. Innerhalb von 15 Minuten sank die Thielbek, die Cap Arcona stand in Flammen und kenterte. Nur knapp 500 der weit über 8.000 Menschen konnten sich an Land retten. Schon am Vormittag hatten die Wachmannschaften auf den beiden Kähnen Vaterland und Wolfgang Erschießungen durchgeführt, die am Strand fortgesetzt wurden.

Nur in wenigen Fällen fanden die Überlebenden an Land sofort Hilfe. Die Bevölkerung verhielt sich meist abweisend. Britische Soldaten, die inzwischen Neustadt besetzten, glaubten angesichts der herumirrenden Häftlinge an ein nahe gelegenes KZ.

Die Ursache für die Cap-Arcona-Katastrophe läßt sich bis heute nicht zweifelsfrei feststellen. Lange ist über fingierte Funksprüche der SS gemutmaßt worden, mit denen die Engländer zum Angriff auf den vermeintlichen Truppentransport veranlaßt worden sein sollen, doch gibt es hierfür keine Beweise. Im allerletzten Moment scheiterten Versuche des schwedischen Roten Kreuzes, das britische Kommando darüber aufzuklären, wer sich tatsächlich auf den Schiffen befand.

Die Geschichte des KZs Neuengamme fand ein doppeltes Ende: Kurz vor der Befreiung des Lagers wurden englische Truppen noch zu unwissenden Vollzugsgehilfen nationalsozialistischen Massenmordes. Kay Dohnke