■ Nach dem Wahlsieg der italienischen Linken:
: Endlich ein Erfolg, schon ist er vertan

Es konnte gar nicht anders kommen: Kaum hat Italiens Linke, die sozialdemokratische um die Linksdemokraten (PDS) und -katholiken (Popolari) ebenso wie die „linke Linke“ der Rifondazione comunista, endlich nach zwei Jahrzehnten einmal einen ansehnlichen Erfolg eingefahren, schon ist sie dabei, ihn wieder zu vertun. Die Frage ist, ob das eine Art Naturgesetz ist oder lediglich ein Defekt der jeweiligen Führungsfiguren und ihrer Hinterleute.

Auf den ersten Blick möchte man die Schuld den Politikern zuschieben. Zum einen hat sich gezeigt, daß eine kluge Strategie durchaus zu Bewegungen führen kann – siehe die Entmachtung Berlusconis. Die Strategie des derzeit zweifellos stärksten italienischen Politikers, Massimo D'Alema vom PDS, ist aufgegangen: Berlusconi und die Rechte mußte man nur für eine Zeit von den Schalthebeln der Macht vertreiben, und schon ist der Sog zu ihr weg. Der Sturz Berlusconis hat die Italiener von einer zunächst eher unerwarteten Realität überzeugt: Der Mann ist, obwohl er es gern möchte und viele darauf hofften, kein zweiter Mussolini. Und sein Juniorpartner Gianfranco Fini mit seinen nun Nationale Allianz (AN) genannten Rechtsextremisten ist noch nicht fähig, die Führung einer radikalen Rechtsregierung zu übernehmen. Darum waren hinreichend viele Wähler bereit, das erst voriges Jahr begonnene Experiment einer Rechtsregierung wiederabzubrechen, bevor diese überhaupt so recht zum Regieren kam.

Doch D'Alema hatte für diesen Sturz, unter Preisgabe nahezu aller wichtigen Ziele der Linken (von der vorrangig sozialen Aufgabe des Staates über die frauenfreundliche Abtreibungsregelung bis zur Infragestellung des öffentlich- rechtlichen Rundfunks) eine mindestens ebenso unnormale Koalition zusammengebosselt wie ein halbes Jahr zuvor Berlusconi mit seinen beiden Partnern von der zentralistischen Rechten und der separatistischen Liga Nord: D'Alema mußte nicht nur die seit langer Zeit mit ihm verfehdeten Altkommunisten der Rifondazione ins gemeinsame Boot bringen, sondern auch die seit je dezidiert antikommunistischen Liga und schließlich große Teile der ehemaligen Democrazia Cristiana, die sich nun Italienische Volkspartei nennt. Zum Sturz Berlusconis reichte das, und auch noch zur Installierung der Nachfolgeadministration des Technokraten Lamberto Dini. Doch den Regierungschef aushebeln ist etwas anderes als regieren. Zumal in Italien, wo sowieso alle nur darauf warten, daß sich einer auf den Thron setzt, damit sie sofort an dessen Beinen zu sägen beginnen können.

Dabei stehen die Zeichen für eine Regierungsübernahme formal derzeit so günstig wie noch nie: Die Rechte ist in sich gespalten, der bisherige Super-Sonnyboy der Rechten, „AN“-Führer Gianfranco Fini, steckt nach der Wahlschlappe in einer tiefen persönlichen Krise und scheint, trotz seiner erst 45 Jahre, um ein Jahrzehnt gealtert. Dazu ist der moderaten Linken mit dem ehemaligen Staatsmanager Romano Prodi ein Himmelsgeschenk als Herausforderer für Berlusconi in den Schoß gefallen: Er ist praktizierender Katholik, aber nicht bigott, ökonomisch beschlagen (und durch „sanfte Sanierung“ erfolgreich) und damit nicht durch Berlusconis Dauerspruch „Lernt ihr erst mal einen Konzern so führen wie ich“ gefährdet, er lächelt freundlich, aber nie maskenhaft wie sein rechter Widerpart. Ein Mann zum Anfassen, der lieber durch die Gegend radelt oder joggt, als sich im Fernsehen zu präsentieren.

Dazu kann er, nach den im Herbst wahrscheinlich stattfindenden Neuwahlen, mit einem großen Vorteil rechnen: Die derzeitige Administration wird bis dahin nahezu alle bösen Hindernisse aus dem Weg geräumt haben, die Italiens Regierungen seit Jahrzehnten lähmen. Die Rentenreform, die den Haushalt in den kommenden drei Jahren bereits um umgerechnet gute 50 Milliarden Mark entlasten wird, ist unter Dach und Fach; das Haushaltsgesetz 1996 soll, einmalig in der Nachkriegsgeschichte des Landes, gar schon bis zur Sommerpause vorbereitet werden; das überfällige Antitrustgesetz wird wahrscheinlich auch noch verabschiedet. Von daher könnten sich Italiens Linke und Halblinke eigentlich gut auf einen runden Wahlkampf vorbereiten.

Nichts da! Der Streit ist bereits wieder in vollem Gange. Rifondazione comunista, stark durch ihren 25prozentigen Zuwachs (auf nun fast neun Prozent), schlägt bereits so viele Pflöcke ein, daß selbst die eigenen Parlamentarier nicht mehr damit zurechtkommen; die Linke der Italienischen Volkspartei, die sich inzwischen als eigene Formation unter dem Namen „Popolari“ präsentiert, hat umgekehrt ein absolutes Verdikt gegen ein Bündnis oder auch nur eine gemeinsame Wahlkampfplattform mit der „Ultralinken“ ausgesprochen. Die Liga Nord will zwar mehrheitlich mit den Linksdemokraten bündeln, ist aber schon aus Gründen ihrer antizentralistischen Einstellung gegen die Rifondazione mit ihrer Staatsfixiertheit. Und selbst kleinere Gruppen wie die industrienahe Republikanische Partei und ihr Linksableger Demokratische Allianz, dazu die Grünen und die Restsozialisten verweigern sich einem größeren Bündnis, ja stellen die Kandidatur Romano Prodis zum Regierungschef in Frage. Nun sollen Vorwahlen klären, wie viele den Mann eigentlich wollen. Prodi wird sich dem Votum stellen, doch mit Sicherheit wird er geschwächt daraus hervorgehen. Nicht weil es auch nur annähernd so zugkräftige Gegner gäbe, sondern weil sein bisheriger Status eines allseitig geschätzten Kandidaten im „Vorwahlkampf“ von den Mitgliedern seiner eigenen Allianz unterhöhlt werden wird.

Schlimmer noch scheint der Dilettantismus, mit dem einige zu künftigen Ministerkandidaten hochgehievte Linkspolitiker ihre Startvorbereitungen treffen. Mit Einverständnis von PDS-Chef Massimo D'Alema, der selbst kein Amt anstrebt, weil Parteichefsein noch immer die größte Macht bedeutet, hat Prodi den Chef der Parteizeitung L'Unita, Walter Veltroni, als künftigen stellvertretenden Regierungschef vorgesehen. Veltroni, der voriges Jahr überraschend gegen D'Alema bei den Wahlen zum PDS-Sekretär unterlegen war, sieht hier eine Chance, Boden gutzumachen – und hat im Überschwang bereits mit heftigem Prozellanzerdeppern begonnen. So propagierte er spontan für die kommenden Monate „kein programmatisches Bündnis, sondern nur eine Wahlallianz aller demokratischen Kräfte, von den Ligen bis zur Rifondazione comunista“ – und bemerkte erst danach, daß genau das auch Berlusconi im vorigen Wahlkampf getan hatte und danach mit seiner Regierung an dieser Konstellation zerbrochen ist. Umgekehrt gefährden sowohl die Liga Nord als auch die linkskatholischen „Popolari“ durch die Drohung, ein „moderates Zentrum“ als dritte Kraft zu gründen, nicht nur den Zusammenhalt der Berlusconi-Gegner. Sie stellen damit auch just die von allen Seiten erklärte Absicht in Frage, durch die Einführung eines Zwei-Block- Systems dem Land die erwünschte Stabilität zu verschaffen.

Natürlich kann auch ein Drei- oder Vierparteiensystem Stabilität gewähren, siehe BRD. Doch für die italienische Linke eröffnet sich damit eher der Rekurs in die Vergangenheit: Schon früher hatte sich, zusammengesetzt aus kleineren Parteien wie den Republikanern, den Liberalen und den Sozialdemokraten (zusammen an die 15 bis 20 Prozent), ein „Mitte“- Block gebildet – der aber auf nationaler Ebene mit der Linken nie eine Koalition eingegangen war. Die potentielle Klientel der „neuen Mitte“ wäre ziemlich identisch mit der der alten: Industrielle und höhere Angestellte, Selbständige der oberen Einkommensklassen und vor allem Katholiken, die zwar „laizistisch“ sind, denen die Linke aber noch immer die alte Kommunistenangst einjagt.

Analysen der Wahl vom vorvergangenen Sonntag ergeben, daß trotz der durch das Wahlsystem bedingten hohen Mandatsgewinne der Linken die Blocks von rechts und links bisher nahezu gleich groß sind. Zieht man eine moderate Mitte bei beiden ab – rechts das christlich-demokratische Zentrum und die Liberalen, links die Ligen und die Linkskatholiken –, so bleibt die Rechte noch immer weit stärker als die Linke. Um so mehr käme es darauf an, programmatische Identitäten zu schaffen, mit denen sich regieren ließe.

Doch da ist wenig Aussicht. Italiens Gesellschaft ist derzeit, trotz allen Umbruchs und der schweren, nicht ganz überwundenen Krise, noch immer auf eine Weise geschichtet, die Blockbildungen fast unmöglich macht. Die bedrohten Absteiger und damit potentiellen Anhänger radikaler Positionen sind stark genug, den Politikern den Zugriff auf die Mitte als „natürliches Reservoir“ für die Garantie einer gewissen Stabilität zu verwehren. Umgekehrt ist die Mitte stark genug, eine stabilisierende Verschiebung nach rechts oder links zu verhindern.

Will heißen: Nicht eine stabile Regierung, wie die stets wiederholte These verspricht, wird gesellschaftliche Beruhigung und ökonomische Prosperität garantieren. Sondern umgekehrt könnte erst der wirtschaftliche Aufstieg auch politische Stabilität bieten. Für die Linke heißt das, daß Wahlerfolge wie der eben eingefahrene auch noch in weiterer Zukunft kaum zu nutzen sein werden. Werner Raith