Nachschlag

■ Linkssentimentale Transportarbeiterfreunde im Café Casa

Wer dem Publikum als Gegenentwurf zur Randale am Tag der Arbeit bereits programmeröffnend vierstündige Diskussionsrunden, dreimalige Programmwiederholung und Workshops androht, dem ist von vorneherein bedenkenloses Vertrauen zu schenken – so einzuordnen im Falle der Linkssentimentalen Transportarbeiterfreunde. Am Montag brachten sie im soziokulturellen Prenzlberger Café Casa ihre Lieder vom Fritz, dem Traktoritz, vom Stalin, vom Gruß der Jugend an die SED und von vielem Schönen mehr zu Gehör. Das an diesem vergnüglichen Abend bizarr verkleidete Quartett (Trompete, Klarinette, Gitarre, Gesang und „Harald“ aus der Kreis-, Kinder- und Jugendschule Radebeul an der Trommel), irgendwie verwandt mit der Bolschewistischen Kurkapelle Schwarz-Rot, empfindet sich als letzte noch existierende Solistengruppe der sowjetischen Besatzungszone, ganz und gar hat es sich der Verspottung masochistischer Selbstkasteiungszwänge ehemaliger DDR-Bürger verschrieben. Neben den fetzig-schrägen und leicht angesägten Interpretationen sozialistischen Kampfliederguts hat sich die Gruppe sogar zwecks Imitation einschlägiger Schlager das Auslaufmodell eines Keyboards angeschafft, dem sie beispielsweise „Schreib es mir in den Sand“ entlockten: „und aus den Wellen kamst du mit Perlen im Haar auf mich zu“ – nach Eigenauskunft ein „kleiner, inniger Protestsong gegen die Mangelwirtschaft im Schmuckbereich. Denn an der Ostsee hatten sie nur Feuersteine auf dem Kopf.“

Doch blieb es nicht beim Osten. Weil der Freizeitrockgruppe Ton Steine Scherben „eine gewisse kulturelle Identität“ nicht abzusprechen sei, gab es Coverversionen von „Keine Macht für niemand“, aber auch von Lennons „I Am The Walrus“. Als die Band, so berichtete der beredte Sänger in einer seiner langatmigen Anekdoten zwischen zwei Liedern, kurz nach 89 an die Ostsee fuhr und die Aufhebung der dortigen Grenzen feststellen durfte, schwamm sie kurzerhand in ihrem himmelblauen Trabant nach Schweden, um dort nach dreiwöchigem Aufenthalt in der königlich schwedischen Staatsbibliothek herauszufinden zu können, daß sämtliche Liedertexte Zarah Leanders falsch übersetzt worden waren. So lautete etwa die Version von „Nur nicht aus Liebe weinen“ durch die Linkssentimentalen Transportarbeiterfreunde: „Wir kamen von Osten in Horden / mit Herzen so fremd und so stumm. / So sind wir die Euren geworden / Ich kann euch nicht sagen, warum.“

Das zahlreich erschienene Publikum sang mit und erpreßte schließlich Zugaben, bis den Linkssentimentalen das Programm ausging. Wer mag, so die abschließende Aufforderung ebendesselben Sängers, solle sich nicht nur die soeben erschienene CD „Blutende Herzen“ (EFA-Vertrieb) zulegen, sondern auch Briefe an die Medien mit der Bitte um Aufnahme der Linkssentimentalen Transportarbeiterfreunde in die Charts verfassen. Dem werde ich gern Folge leisten. Susanne Messmer