Neues vom Kampftag: Wohin mit dem 1. Mai?

Es bedurfte der Anstrengungen einiger Jahrzehnte, um den 1.Mai, den internationalen Kampftag der Arbeiterklasse, auch als gesetzlichen Feiertag zu etablieren. Aber je weiter die Anerkennung um sich griff, desto unklarer wurde die ursprüngliche, internationalistische Zielsetzung des Unternehmens: den zusammenströmenden Proletariern – weltweit und am gleichen Tage – das Schicksal ihrer Klassengenossen rund um den Globus näherzubringen und sie zur gemeinsamen Aktion gegen die Ausbeuter und Unterdrücker aufzurufen.

Die englischen Proletarier entziehen sich dem Prinzip der Gleichzeitigkeit schon seit einer ganzen Weile. Sie sind übereingekommen, den jeweis ersten Montag im Mai zum Kampftag zu deklarieren. Dieses Jahr nun wurde der „Montag“ in Britannien um eine weitere Woche verschoben. Denn am 8. Mai steht der „Victory in Europa-Day“ an, so daß sich soziale und patriotische Emotionen potenzieren und die hartgeprüften Unternehmer außerdem einen arbeitsfreien Tag einsparen können. Es stehe, so die staatserhaltende BBC, allerdings zu befürchten, daß Teile der Arbeiterklasse aus schierer Gewohnheit zu Hause beziehungsweise im Grünen blieben und so die gut durchdachte Rationalisierungsmaßnahme durchkreuzten.

Einen Schritt weiter gingen Sri Lanka und Mexiko. Die Regierung ersteren Landes verschob den 1. Mai mit der Begründung, der Abschuß zweier Flugzeuge durch die Befreiungsfront der „Tamil Tiger“ und der Tod sämtlicher Passagiere habe zu einer Sicherheitslage geführt, die Kundgebungen und Demonstrationen auf offener Straße nicht ratsam erscheinen lasse. Die der mexikanischen Regierungspartei PRI nahestehende quasistaatliche Gewerkschaft hingegen teilte mit, ein so hoch verschuldetes Land wie Mexiko könne sich den 1. Mai schlechterdings nicht leisten. Eine von Verantwortungsgefühl gegenüber der Zukunft der „institutionalisierten Revolution“ zeugende Einsicht!

Die beiden Beispiele belehren uns, daß statt starrer, dabei rein symbolischer internationalistischer Gleichzeitigkeit jetzt zum 1. Mai nationale Zeitflexibilität vonnöten ist. Die Vorteile für alle Beteiligten sind offensichtlich. Ein alle paar Jahre geschickt zwischen Weihnachten und Neujahr eingeschobener 1. Mai könnte den Werktätigen zu einer arbeitsfreien Woche verhelfen, ohne die Ausnutzung der Maschinerie allzu sehr zu beeinträchtigen. Denkbar wären auch Vorschläge im Geiste Heimito von Doderers. Der österreichische Rationalisierungsfachmann hatte zustimmend über eine Kommune berichtet, die zwei Donnerstage pro Woche einrichtete, eine für 1.-Mai-Feiern allerdings nur bedingt auswertbare Idee. Vorstellbar wäre eine Kumulation von 1. Maiś über ein paar Jahre hin. Die dann fällige Dauerfeier könnte, natürlich im sozialpartnerschaftlichen Einvernehmen, an günstiger Stelle im Konjunkturzyklus plaziert werden.Christian Semler