Mein Faust: Mein Polster

■ Theater ums Theater in Berlin zu Zeiten des "Kulturkampfes" - symptomatische Nachwehe von Schleefs "Faust"-Projekt: "Goethe/Faust/Zelle"

Einar Schleefs „Faust“-Projekt gehört zu den Theaterereignissen dieses Jahrzehnts. Obwohl diese Inszenierung niemals regulär aufgeführt worden ist, wird man sich wahrscheinlich noch lange an sie erinnern können. Denn die Nicht-Aufführung ist mit einem Ereignis verknüpft, welches das Theater vor zwei Jahren schlagartig ins Zentrum öffentlichen Interesses katapultierte: Das Berliner Schiller Theater, in dem Schleef den „Faust“ geprobt hatte, wurde acht Tage vor dem Premierentermin im Sommer 1993 geschlossen.

Damals begann die „Kulturkampf“ genannte Diskussion über die Frage, in welchem Maße der Staat Kunst und Kultur zu subventionieren habe – eine Diskussion, die den Mangel einer Debatte über ästhetische Fragen seither kompensiert und die immer wieder um das Beispiel der Theaterfinanzierung kreist.

Was das „Faust“-Projekt anbelangt, so platzte es nicht einfach, sondern es löste sich den Umständen entsprechend auf und verdichtete sich dann wieder, unwillkürlich gespickt mit etlichen Splittern einer derzeitigen Berliner Theaterdebatte. Nachdem Schleef die Inszenierung 1993 vor dem geschlossenen Theater als eine der nächtlichen Solidaritätsveranstaltungen andeutete, dann zwei Szenen als chorisches Mahnmal in Versen bei einem Treffen von Kulturschaffenden und Politikern in Berlin zeigte und schließlich plante, 1994 vor der Attrappe des Berliner Schlosses zu spielen, brach die Ursprungs- Truppe auseinander. Die Stars, Marianne Hoppe und Martin Wuttke, gingen ans Berliner Ensemble, wo Heiner Müller mit ihnen sein „Quartett“ inszenierte.

Der Rest des verbliebenen Restes holte sich (unter anderem mit Axel Werner und Thomas Wendrich) ersatzweise Verstärkung genau vom Berliner Ensemble und probte in den letzten Wochen einen eigenen „Faust“ mit dem Titel „Goethe/Faust/Zelle“. Mit zeitgemäßen Mitteln, das heißt „aktivem Wirtschaftssponsoring“, einem Startkapital vom Berliner Hebbel Theater in Höhe von 10.000 Mark und Bühnen-Leihgaben verschiedener Berliner Theater zogen sie in den Konrad-Wolf-Saal ein – ein Raum, in dem bis 1945 die Deutsche Chirurgische Gesellschaft und zwischen 1949 und 1976 die Volkskammer der DDR tagte. Zuletzt gehörte das Haus der Akademie der Künste (Ost).

Genau in diesem Konrad-Wolf- Saal, der durch die minimale Tiefe der Vortragsbühne für Theater eigentlich nicht geeignet ist, wollte Rolf Hochhuth kürzlich noch ein Brandenburger Tor Theater betreiben. Hochhuth, dessen Plan, ein „Autorentheater“ in der Hauptstadt zu gründen, schon mehrfach auf Desinteresse gestoßen ist, hatte bereits einiges in Gang gesetzt und es sogar zu einer entsprechenden Pressemeldung gebracht. Dann aber ließ sein Finanzierungsplan auf sich warten.

Wahrscheinlich hatte er keine Zeit mehr, weil er in New York nach den Alteigentümern des Berliner Ensembles fahndete, sie für sich begeisterte, sie in ihren doppelten Restitutionsansprüchen einte und nun hofft, sich über seine Ilse-Holzapfel-Stiftung ins BE einzukaufen. Der Direktorenstuhl, auf den er dort neben Heiner Müller klettern will, wurde soeben erst von Peter Zadek verlassen – unter anderem deswegen, weil Zadek den Gedanken nicht ertragen konnte, daß Einar Schleef am BE beschäftigt werden sollte, da er dessen Inszenierung von Hochhuths „Wessis in Weimar“ als faschistoid empfunden hatte.

Was sich hier alles leicht hysterisch verschränkt und verdichtet, mag eigentlich gar nicht zusammengehören, und in diesen Worten ließe sich auch Christian Suhrs und Bernd Freytags Inszenierung von „Goethe/Faust/Zelle“ im Konrad-Wolf-Saal beschreiben. Aus beiden Teilen und mehreren Fassungen wurde eine Faust-Geschichte gerafft, die sogar einen Bezug zur Örtlichkeit hat: Der Doktor leidet an der ererbten Schuld, Sohn eines Euthanasiearztes zu sein. In Mephisto wird dieses Vaterbild projiziert, Gretchen erscheint Faust als eines der Opfer seines Vaters. Am Ende gerät Faust selbst in die Fänge von Menschenexperimentierern, die sich als unbescholtene Bürger tarnen.

Der Situation „Zelle“ wird durch eine uneinsichtige Bespielung des ganzen Saales kaum Rechnung getragen, und Stefan Koloskos Faust bringt von Anfang an eine schwer verständliche Wut mit auf die Bühne. Nebenrollen wie Thomas Wendrichs Baccalaureus werden akkurat und kraftvoll gespielt, aber im Ganzen spiegelt die Inszenierung nur den aussichtslosen Kampf der Söhne, von dem sie eigentlich erzählen will, denn die Vision dieser „Faust“-Variante konnte ästhetisch nicht im mindesten umgesetzt werden. Einigermaßen ratlos saßen Künstlerkollegen, Pressevertreter und das Premierenpublikum im einstigen Saal der Volkskammer der DDR verstreut und versanken immer tiefer in den allzu weich gepolsterten Sitzen. Petra Kohse

Aufführungen bis 27. 5., 19.30 Uhr, Informationen unter 030-280 71 98