„Und wer feuert MV?“

Wie der bisweilen sparsam denkende Finanzminister Mayer-Vorfelder lügend versucht, dem VfB und sich aus der Klemme zu helfen  ■ Aus Stuttgart Holger Gayer

Den Kinderreim, den Gerhard Mayer-Vorfelder angeblich auf den Lippen hatte, hörte niemand. „Eene, meene, muh und raus bist du“, soll der Präsident des VfB Stuttgart gesagt haben, als er bei seinem 20jährigen Dienstjubiläum vor zehn Tagen die ehemaligen Trainer des schwäbischen Traditionsvereins begrüßte. Wie an einer Perlenkette aufgezogen standen sie da, die Herren Benthaus (Meistertrainer 1984, inzwischen schlichter Kaufmann in der Schweiz), Daum (deutscher Meister 1992, nun Coach von Beșiktaș Istanbul) und Sundermann (sicherte den Wiederaufstieg in die Bundesliga 1977, bis 25. April 1995 arbeitslos). Mayer-Vorfelders Wahl fiel auf Sundermann (55), „weil er gerade frei war und die Verhältnisse beim VfB bestens kennt“, wie der Präsident auf der Jubelpressekonferenz für den neuen alten Trainer dann erklärt hat.

Vorher vergoß der „Bauchmensch“ (Mayer-Vorfelder über Mayer-Vorfelder) aber noch ein paar Krokodilstränen auf seine ehemaligen Angestellten Hoeneß, Röber und Storck. Alle drei hätten nämlich gute Arbeit geleistet für den Verein, der ihm, Mayer-Vorfelder, so sehr am Herzen liege und für dessen Wohl er alles zu tun gedenke, was in seiner Macht stehe. Gerade wegen seiner hohen Prinzipientreue habe er nun das Gesetz des Handelns wieder an sich reißen müssen. Von Dieter Hoeneß, dem Manager, trennte man sich in gegenseitigem Respekt, heuchelte CDU-Politiker Mayer-Vorfelder, der mit der Arbeit des ehemaligen Kickers in Wahrheit so zufrieden war wie Helmut Kohl mit der Berichterstattung eines Hamburger Nachrichtenmagazins. Auch den ehemaligen Trainer Röber und dessen Assistenten Bernd Storck lobte der Stuttgarter Omnifunktionär als „menschlich untadelig“. Er sei von den Qualitäten Röbers überzeugt und glaube daran, „daß er als Trainer seinen Weg machen“ werde.

Nur beim VfB halt nicht, denn hier habe nun etwas passieren müssen, damit die Mannschaft wieder mit Freude und Leidenschaft auftrete. „So ist das im Fußball. Wir stehen unter Erfolgszwang. Und wenn's nicht läuft, kann man nicht die Spieler auswechseln, sondern nur den Trainer“, sprach der Chef – und bemerkte nebenbei, daß dies zwar ungerecht, aber nicht zu ändern sei.

Letzten Samstag demonstrierte der Präsident dann eindrücklich, was er von Meinungsfreiheit hält. Ein Transparent („Und wer feuert MV mit Frau?“), das aufmüpfige Fans vor der Partie gegen den FC Bayern ins Neckarstadion gehängt hatten, ließ Gerhard Mayer-Vorfelder entfernen. Die Stuttgarter Zeitung bezichtigte er der Parteilichkeit, weil das Blatt eine Reihe von Leserbriefen veröffentlicht hatte, die allesamt gegen die Selbstherrlichkeit des VfB-Präsidenten wetterten. „Ich weiß, daß ich nicht nur Freunde in dieser Gesellschaft habe“, knurrte der Vereinschef, ehe er den Platz neben seinem Dienstherrn Erwin Teufel einnahm. Auch, was auf dem Rasen sich abspielte, war politischer Natur. Und obwohl der VfB 0:2 verlor, hat der Vereinschef einen klaren Aufwärtstrend erkannt, und auch sein Lieblingsschüler Berthold erklärte zufrieden: „Wir können erhobenen Hauptes nach Hause gehen.“ Gab es in der Geschichte der Bundesrepublik schon einmal einen Politiker, der eine Niederlage zugegeben hätte?

Wer indes Ursachenforschung betreiben und herausfinden will, warum Mayer-Vorfelder in der vergangenen Woche sein Wort („Bei uns sind Verträge grundsätzlich dazu da, um eingehalten zu werden“) gebrochen hat und das Trio Hoeneß, Röber und Storck entließ, sollte einen Blick in die zutiefst gekränkte, schwäbische Seele des VfB-Präsidenten riskieren. Die 1:4-Pleite in Uerdingen war schlimm, das 1:1 gegen Schalke furchtbar. Aber 1:3 in Karlsruhe verlieren, das bringt einen bekennenden Patrioten schier um den Verstand. In der Halbzeitpause schon flüchtete Mayer-Vorfelder in den VIP-Raum, wo glücklicherweise ein gutes Pils gezapft wurde. Dort bereitete sich der baden-württembergische Finanzminister auf die Schmähungen seines Intimfreundes Roland Schmider vor.

In dieser Stimmung, die mieser nicht mehr sein konnte, sei Mayer- Vorfelders Entschluß gereift, Röber, Storck und Hoeneß rauszuschmeißen, mutmaßt ein Vertrauter des Präsidenten. Da sei er so sauer gewesen, daß er sich ob der gebrochenen Verträge hinterher sogar „Lügenbaron“ (Sat.1-Beckmann) schimpfen ließ. Ob das, was einem Otto-Präsidenten auch einem hochrangigen Politiker ansteht, der sich somit nicht als Präsident, wohl aber als Minister in Frage stellt, ob der Mann durch sein Lügen zumindest seine Chancen, in vier Jahren doch noch integrer DFB-Präsident zu werden, beschädigt hat, ist einem wie ihm in einer „Bauch-“Situation dann gleich. Und, wie das so üblich ist in Stuttgart, als der Chef wußte, was er wollte, versammelte er seine getreuen Präsidiumsmitglieder um sich und ließ seine Vorschläge demokratisch nachbereiten. Dann schickte er nach Jürgen Sundermann, bestimmte ihn als neuen Trainer und öffnete eine Flasche Champagner. Der Trinkspruch, heißt es, sei gewesen: Eene, meene, muh und drin bist du.