„Wir werden einen Flächenbrand entfachen“

■ IG-Metallchef unterstellt Thyssen vor 10.000 Demonstranten „offenen Vertragsbruch“ / Konkurs der Tochtergesellschaft VSG „absichtlich herbeigeführt“

Bochum (taz) – Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Metall (IGM), Klaus Zwickel, hat gestern den Stahlkonzernen Thyssen, Krupp-Hoesch und Stahlwerke Bremen, vormals Klöcker, „offenen Vertragsbruch“ vorgeworfen. Vor mehr als 10.000 Stahlarbeitern und Werksrentnern aus dem gesamten Bundesgebiet hielt Zwickel den Konzernen vor, ihre gemeinsame Schmiedetochtergesellschaft VSG mit Niederlassungen in Osnabrück, Bochum und Hattingen „absichtlich in den Konkurs getrieben“ zu haben, um sich so den Zahlungen für 1.640 Sozialplanbezieher und 1.850 Werksrentner zu entziehen. Wenn das gelinge, sei „kein Sozialplan mehr in der Stahlindustrie sicher“, sagte Zwickel. Die gesamte IG-Metall sei deshalb fest entschlossen, gegebenenfalls einen „Flächenbrand“ bis hinein in die Konzernmuttergesellschaften zu entfachen.

Die drei Stahlkonzerne hatten ihre Schmiedewerke vor Jahren zu einer Holdinggesellschaft mit fünf verselbständigten GmbH-Unternehmen umgebaut. Weil keine Gewinne der VSG-Tochterunternehmen in die Holding flossen und die Stahlkonzerne selbst ihrer Zuschußpflicht nicht nachkamen, standen den immensen Holding- Ausgaben, die für die Zahlungen an die Sozialplanbezieher und Werksrentner zuständig war, kaum noch Einnahmen gegenüber. Anfang des Jahres mündete dieses „Gaunerstück der Stahlbosse“, so ein Metaller gestern in Bochum, deshalb in einen Vergleichsantrag. Während davon die noch 2.250 in den selbständigen GmbH-Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer unberührt blieben, verloren die Rentner und Sozialplanbezieher auf einen Schlag bis zu 30 Prozent ihres vertraglich garantierten Einkommens. Die Zahlung der Werksrenten hat inzwischen zwar der Pensionssicherungsverein übernommen, doch für die früh ausgeschiedenen Sozialplanbezieher, deren Arbeitslosenhilfe das Unternehmen eigentlich auf 90 Prozent des letzten Nettoverdienstes aufzustocken zugesichert hatte, steht eine Regelung nach wie vor aus. Zur Zeit sorgt allein ein Massenkredit der Düsseldorfer Landesregierung in Höhe von 10 Millionen Mark dafür, daß der Konkursverwalter seine Geschäfte weiterführen kann.

Insgesamt geht es um eine Summe von rund 84 Millionen Mark (von 1995 bis 2003). Unterdessen boomt die Stahlbranche. Allein der Thyssen-Konzern erwartet in diesem Jahr laut Konzernchef Kriwet einen Gewinn vor Steuern „näher bei einer Milliarde Mark als bei 600 Millionen“. Während die ehemaligen Stahlkocher hängengelassen werden, wird die obere Etage gut versorgt: Für ehemalige Vorstandsmitglieder und Hinterbliebene stellte allein Thyssen laut Geschäftsbericht 93/94 82,2 Millionen Mark zurück. Walter Jakobs