■ Das Portrait
: Lord Haw-Haw

„Wenn Sie so wollen, ist Deutschland nicht mehr der zentrale Faktor in Europa. Deutschland ist es vielleicht immer noch, ich kann unrecht haben, ich werde nur sagen: Die deutschen Waffen sind auf vielen Schlachtfeldern besiegt worden.“ So beginnt am 30. April 1945 der letzte Radiokommentar von William Joyce im Reichssender Hamburg. Der Mann ist stark betrunken, er liest mit schwerer Zunge, und trotzig beendet er seine Sendung mit den Worten: „Es lebe Deutschland, Heil Hitler und lebt wohl.“ Joyce flieht mit seiner Frau Margaret nach Flensburg, wo beide ein paar Tage später von englischen Truppen verhaftet werden, nachdem ein englischer Hauptmann William Joyce an der Stimme erkannt hat. Kein Wunder: Um seinen Dialekt, eine Mischung aus Irisch und Cockney, zu verdecken, hatte Joyce sich für seine Radiosendungen aus Deutschland einen grotesken Upper-Class-Akzent zugelegt, der ihm den Spitznamen „Lord Haw-Haw“ einbrachte.

William Joyce Foto: Popperfoto

Joyce wurde in den USA als Sohn irischer Emigranten geboren, kam jedoch als Kind mit seinen Eltern nach Großbritannien und studierte später an der renommierten London School of Economics. In den dreißiger Jahren trat er Oswald Mosleys Faschisten bei und ging kurz vor Kriegsbeginn nach Deutschland.

Schon vor dem Krieg sendete der deutsche Reichsrundfunk Programme in englischer Sprache über den Ärmelkanal. Nach Kriegsausbruch meldeten sich Joyce und seine Kollegen dann jeden Abend aus Deutschland: „Germany calling!“ Mit Allerweltsinformationen aus England und einfachen Tricks täuschte Joyce vor, über ein weitverzweigtes Netz von Informanten in England zu verfügen. In seinen Tagebüchern bezeichnete Goebbels ihn als „mein bestes Pferd im Stall“.

Nach ihrer Verhaftung werden Joyce und seine Frau nach London gebracht. Beide hatten während des Krieges die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Margaret Joyce wird deshalb in ein deutsches Internierungslager geschickt. Da sich ihr Mann jedoch 1939 unter falschen Angaben einen britischen Paß für seine Ausreise besorgt hat, behandelt man ihn als britischen Staatsbürger: Joyce wird wegen Hochverrats angeklagt und zum Tode verurteilt. Seinen Abschiedsbrief an seine Frau schließt er mit einem dreifachen „Sieg Heil“. Am 3. Januar 1946 wird er im Wandsworth-Gefängnis in London gehängt. Ralf Sotscheck