■ Die Grenzen des staatlichen Gewaltmonopols in den USA
: Land der Waffenfetischisten

Man wähnte sich bereits kurz vor der nächsten Militäraktion. Operation „Provide Justice“ oder Operation „Swift Retribution“ – ein paar Bombenabwürfe über jener „ausländischen Macht“, die man in den ersten 48 Stunden so sicher hinter dem Anschlag von Oklahoma City vermutete. Wer sonst als ein paar fanatisierte Muslime, natürlich mit Bart, wäre zu so etwas fähig?

Seit der Anklageerhebung gegen den antistaatlichen Fanatiker Timothy McVeigh zeichnet sich ab, daß sich Rache und Vergeltung wohl im Rahmen der amerikanischen Strafprozeßordnung halten müssen. Luftangriffe gegen terroristische Anschläge fliegt man gegen Libyen oder den Irak, aber nicht gegen Waldverstecke in Montana, Farmen in Michigan, Wohnwagensiedlungen in Arizona oder wo immer sonst amerikanische Bürgermilizen ihre Quartiere aufschlagen. Allerdings paßt die Vision eines Generalangriffs durch die US-Armee genau in jenen Wust von Verschwörungstheorien, auf dessen Grundlage sich zahlreiche Bürgermilizen gegründet haben. Diese wilde Mischung aus Steuerverweigerern, Survivalists, Waffenfanatikern und christlichen Fundamentalisten hat mittlerweile eine oft explizit rassistische und antisemitische Rhetorik angenommen und wirbt seit einigen Jahren dem Ku-Klux-Klan und Neonazi- Organisationen potentielle Mitglieder ab.

Nun darf man mit gewisser Sicherheit annehmen, daß die Zahl dieser Milizionäre relativ klein ist: Rund 20.000, verteilt auf 30 Bundesstaaten, dürften es sein, nicht 100.000, wie ihre Führer gern behaupten – und die meisten sind vermutlich nicht bereit und willens, den Sprung vom MG-behängten Feierabend-Rambo zum Terroristen zu vollziehen.

Das ist nicht besonders tröstlich, wenn man weiß, wieviel Blutvergießen jene kleinen Gruppen anrichten können, die sich in ihrem Wahn von der Bundesregierung, der UNO, der russischen Armee und der „Federal Reserve“ umzingelt und belagert sehen.

Der Bombenanschlag von Oklahoma City ist der weitaus verheerendste in der Geschichte der USA, aber keineswegs der erste in der jüngeren Geschichte der Milizen. Auf Einrichtungen der Bundesforstbehörde im US-Bundesstaat Nevada wurde im März eine Serie von Bombenattentaten verübt. Dort ist das sogenannte „county movement“ am Werk, das jede Bundeskontrolle von Land- und Wasserresourcen ablehnt, Umweltschutzgesetze des Kongresses als Teil eines totalitären Systems ansieht und zur „Revolution“ und Vertreibung aller Bundesbeamten, vom Förster über den „Park Ranger“ bis zum FBI-Agenten, aufruft.

Doch die stärkste Verbindung zwischen den Milizen und dem politischen Mainstream besteht in der Frage der Waffenkontrolle. Wer sich auf dem Internet unter dem Stichwort „gun talk“ in das „bulletin board“ der „National Rifle Association“ (NRA), mit 3,5 Millionen Mitgliedern eine der mächtigsten Lobbyorganisationen, einschaltet, der findet dort dieselbe militante Rhetorik, die von computervernetzten Milizionären an den Tag gelegt wird. Da werden Anleitungen zum Basteln von Bomben ausgetauscht. Die für – die ohnehin marginale – Waffenkontrolle zuständige Bundesbehörde BATF wird mit den Nazis gleichgesetzt. Der bewaffnete Aufstand wird propagiert, wenn das BATF nicht aufgelöst werde und der „Kopf von Justizministerin Janet Reno rollt“. Unterdessen verteilen rechtsradikale Radiomoderatoren wie der rechtskräftig verurteilte „Watergate“-Einbrecher Gordon Liddy an ihre Hörer Ratschläge, wie man BATF-Beamte erschießt („Auf den Kopf zielen, nicht auf die kugelsichere Weste“), und empfiehlt Zielübungen an Puppen mit den Gesichtern von Bill und Hillary Clinton. Nicht nur aus persönlichen Gründen hatte Bill Clinton deshalb völlig recht, als er vor wenigen Tagen die rhetorischen Hetzkampagnen von Radiomoderatoren gegen die Bundesbehörden und ihre Repräsentanten anprangerte.

Insofern haben die aktiv Militanten aus der rechtsradikalen Szene mit ihren Anschlägen gegen staatliche Einrichtungen durchaus Ähnlichkeit mit deutschen Neonazis: Sie handeln in der Überzeugung, das auszuagieren, was die Mehrheit nur zu sagen oder zu denken wagt.

Dementsprechend verstehen sich einzelne wie Gordon Liddy oder Organisationen wie die NRA als Vertreter einer politischen Mehrheit, die sich bei den letzten Kongreßwahlen im November 1994 durchgesetzt hat und deren antistaatliche Ideologie derzeit der konservative Flügel der Republikaner im US-Kongreß durchzusetzen versucht. Bislang mit Erfolg.

Das dürfte sich mit dem Blutbad vom 19. April und seinen offensichtlichen Verbindungen in die Milizenszene geändert haben. Die Toleranz vieler Amerikaner für die Omnipräsenz von Waffen ist angesichts der ebenso omnipräsenten Gewalt in den letzten Jahren weitaus tiefer gesunken, als es scheinen mag. Nur hat bislang weder die Clinton-Regierung noch haben die Demokraten im Kongreß den Mumm gehabt, dies politisch umzusetzen. Doch nun – nachdem Fanatiker aus Haß gegen den Staat und dessen ohnehin zaghafte Versuche, durch Kontrolle und Verbot einiger, weniger Waffen ein Zipfelchen seines Gewaltmonopols zu packen, über 200 Menschen ermordet haben – dürfte jeder republikanische Vorstoß zur Aufhebung der bereits verabschiedeten Kontrollgesetze in der Öffentlichkeit wenig Widerhall finden.

Letztendlich geht es jetzt genau darum: zwischen dem staatlichen Gewaltmonopol und dem zweiten Verfassungszusatz zu entscheiden, wonach „das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, [...] nicht beeinträchtigt werden“ darf. Dieser Verfassungszusatz ist ein fataler Anachronismus aus Pioniertagen.

Doch statt dessen schickt sich die Clinton-Administration offenbar an, im Schulterschluß mit den Republikanern das Gewaltmonopol genau in die falsche Richtung auszudehnen: Die Ausweisung von als gefährlich eingestuften Ausländern soll erleichtert, die Kompetenzen von Geheimdiensten und Bundespolizei sollen erweitert, Richtlinien zum Einsatz von Abhörgeräten, zur Einsicht in Daten und Akten sollen gelockert werden. Bürgerrechtsorganisationen haben dies zu Recht kritisiert, weil es wenig bis nichts zur Eindämmung von Terrorismus beitrage und gleichzeitig die Grundrechte aller Bürger gefährde. Doch den Ton der Debatte setzt ganz maßgeblich der Präsident – und wie so häufig in seiner Amtszeit stellt sich auch jetzt wieder die Frage: Entscheidet sich Bill Clinton für eine substantielle Debatte über den Waffenfetischismus dieser Gesellschaft – oder entscheidet er sich für das politisch Opportune? Andrea Böhm