Froh mit der FdGO

Wie könnten sie aussehen, die unaufgeregten „Maßstäbe für die Verteidigung der Demokratie“ auf der Basis der real existierenden Verhältnisse im Jahre fünf der Berliner Republik?  ■ Von Jörg Hackeschmidt

Die Verteidigung von Freiheit und Demokratie ist eine „voraussetzungsvolle Sache, deren Schicksal sich schon bei der Wahl der Mittel entscheidet“. Gesellschaftliche Liberalität und Effizienz der Gefahrenabwehr wollen nicht nur demokratieverträglich austariert sein; diejenigen, deren Job es ist, ein demokratisches Gemeinwesen gegen seine Feinde zu verteidigen, müssen sich vor allem eines klarmachen: Ihr Handeln ist immer auch eine Probe aufs Exempel. Genau da liegt der Hase im Pfeffer. Trotz aller rituellen Beschwörungen der sogenannten „freiheitlich- demokratischen Grundordnung“ mangelt es unserer Republik an einem reflektierten Kriterienkatalog, der die Trennung zwischen politisch hinnehmbar und politisch gefährlich (beziehungsweise kriminell) objektiv festschreibt. Es fehlen „Maßstäbe für die Verteidigung der Demokratie“, wie es Claus Leggewie und Horst Meier im Untertitel ihres Buches „Republikschutz“ prägnant formulieren.

Die dritte, die „Berliner“ Republik, die nach den epochalen Ereignissen von 1989 entstanden ist, brauche weder innerstaatliche Feindbilder noch ein ideologisch überformtes Instrumentarium, um politischen Extremismus „abzuwehren“, bevor er republikschädigend agiert, so die These der Autoren. Vielmehr brauche sie ein neues Sicherheitskonzept, das sich strikt auf die Abwehr konkreter Gefahren bezieht, sowie ein emanzipiertes Verständnis von Demokratie, einen geschärften Sinn für politische Freiheit. Mit anderen Worten: ein wenig mehr republikanisches Selbstbewußtsein und Liberalität dürfe sich die Bundesrepublik nach vierzig Jahren westdeutscher und fünf Jahren gesamtdeutscher Tradition schon zutrauen.

Ein neues „Sicherheitskonzept“ – das klingt verdammt nach dem rechten Schlagwort von der „inneren Sicherheit“, meint aber etwas anderes. Der Schwerpunkt liegt auf „Konzept“. In engagierter, nachgerade gutgelaunter Manier nehmen sich die Autoren ein ideologisch vermintes Thema vor und diskutieren es von einer radikaldemokratischen Warte aus – in erfrischend unaufgeregter Weise, ohne Kassandrarufe und linksliberale Betroffenheit oder die pawlowschen Reflexe mancher Linker auf die Politik von Kanther & Co.

Zu Beginn durchmessen die Autoren das Gelände des bundesrepublikanischen Verfassungsschutzes. Wieviel Ratlosigkeit und unhinterfragtes Agieren dabei „im Inneren der Sicherheit“ gang und gäbe ist, breiten Leggewie und Meier in einem ersten Kapitel über „Rechtliche Instrumente und politische Praxis“ aus. Besonders interessant sind darin jene Abschnitte, in denen sich die beiden Autoren den „rostigen Schwertern der Demokratie“ zuwenden: den Organisationsverboten gegen Politsekten, dem Verfassungsschutz als „staatlichem Gesinnungs-TÜV“ und anderen Problemfällen deutscher Demokratie wie beispielsweise den ungelenken Versuchen, mittels Strafrecht die Neonazipropaganda in Schach halten zu wollen. So plädieren sie kurzerhand für die Abschaffung des Inlandgeheimdienstes in Gestalt der Verfassungsschutzämter. Sie seien Dinosaurier aus der Zeit des Kalten Krieges und haben als „Frühwarnsystem“ immer wieder kläglich versagt.

Die goldene Regel, die die beiden Autoren anbieten, lautet: „Der politische Meinungskampf endet dort, wo Gewalt zum Zuge kommt.“ Dort, wo der Meinungskampf gewaltlos als ein solcher geführt wird, brauche man keinen Verfassungsschutz – und dort, wo wirklich Gefahr im Verzug ist, ist der Schnüffelclub sowieso wertlos. Fazit: besser eine wirksame, aber rechtsstaatlich domestizierte „politische Polizei“, die sich um politisch motivierte Verbrechen kümmert (und die es im übrigen schon lange unter dem Namen „Staatsschutz“ als Dienststellen der Kriminalpolizei gibt), als Schnüffelbehörden mit „demokratisch ungelüftetem Korpsgeist“.

Mit kritischer Analyse alleine begnügen sich Leggewie und Meier in ihrem Buch nicht. Auf den letzten hundert Seiten lösen sie ihren hochgesteckten Anspruch ein und skizzieren, aufbauend auf der vorab ausgebreiteten Analyse der real existierenden FdGO-Verhältnisse, ihre Maßstäbe für einen modernen, reflektierten Republikschutz, der radikaldemokratischen Ansprüchen genügt und trotzdem und im besten Sinne realpolitisch ist. Die Autoren plädieren mit Verve für eine „Rückbesinnung auf die grundlegende Unterscheidung zwischen Form und Inhalt, Mitteln und Zielen der Politik“. Eine demokratische Verfassung sei kein Instrument der Ausgrenzung, sondern eines der Inklusion, der „Einbindung in den politischen Prozeß“. Das klingt blauäugig, ist es aber nicht. Vielmehr ist es ein Plädoyer für eine strikte Trennung von Recht und Moral, Justiz und Politik.

Die Autoren beziehen sich damit in ihrem Staats- und Demokratieverständnis vor allem auf den Rechtstheoretiker Hans Kelsen und dessen formalpluralistische Demokratietheorie. Die bange Frage, ob Demokratie tolerant bleiben kann, wenn sie sich gegen antidemokratische Umtriebe verteidigen muß, beantwortete Kelsen mit Ja. Eine – gerade auch von links – vielgeschmähte „bloß formale“ Demokratie ist in den Augen der Autoren das bessere Staats- und Gesellschaftsverständnis. Damit widersprechen sie auch vehement der ethnischen Nationalstaats-Folklore à la Schäuble und reden einem Verfassungspatriotismus nach Dolf Sternberger und Jürgen Habermas das Wort, denn: „Nation ist, was eine sein will.“

Die Vorschläge von Leggewie und Meier zielen darauf ab, die Vokabeln „Bürgergesellschaft“ und „Liberalismus“ ernst zu nehmen. Daß mehr Freiheit nicht zugleich mehr Risiko bedeuten muß, daß – umgekehrt – die Hoffnung auf die Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung von Amts wegen durchaus noch riskanter sein kann, begründen die Autoren kenntnisreich und mit guten Argumenten.

Nicht ob, sondern nur noch wie Demokratie in Deutschland gelebt wird, scheint den Autoren nach dem Ende der Nachkriegszeit strittig. Eine Identität ex negativo, ein großes „Anti“ – der bundesdeutsche Antiextremismus wie der geschichtsklitternde Antifaschismus der DDR – taugt nicht mehr als Geschäftsgrundlage der Berliner Republik. „Demokratien sind sich selber Grund genug.“ Wie wahr.

Claus Leggewie/Horst Meier: „Republikschutz. Maßstäbe für die Verteidigung der Demokratie“. Rowohlt Verlag, Reinbek, 381 Seiten, 39,80 Mark