Streß, Karriereknick, Geldnot

Studierende Mütter und Väter sind zu einem Spagat zwischen Hörsaal und Kinderzimmer gezwungen / Unis bieten wenig Unterstützung  ■ Von Anja Nitzsche

„Eigentlich“, sagt Claudia und gießt sich noch etwas Tee nach, „ist das heute wie Urlaub.“ Sie ist um sieben aufgestanden, sie hat eingekauft, aufgeräumt, ihre Tochter Julia gefüttert und in die Krippe gebracht. Jetzt, um kurz nach neun, sitzt sie in ihrer Altbauwohnung am Schreibtisch. Nun hat sie endlich Zeit, ihren „Unikram“ zu erledigen. Claudia ist Studentin der Romanistik an der Berliner Humboldt-Universität (HUB) und lebt seit zwei Jahren mit ihrer Tochter Julia zusammen. Allein.

Die Zwischenprüfung in Französisch und Spanisch hat sie hinter sich. Für kurze Zeit vorbei ist das nächtelange Schuften und Pauken, die Monate, in denen sie jeden Tag ihre Tochter schon zur Frühschicht in die Kita bringt, dann anfängt zu lernen, zwischendurch die Haushaltspflichten absolviert, das Kind um vier Uhr wieder abholt und um acht ins Bett bringt, um wieder zu lernen. Bis der Schädel brummt.

So wie Claudia geht es vielen Studierenden mit Kindern an deutschen Hochschulen. An die 120.000 sind es in der gesamten Bundesrepublik, die den Spagat zwischen Hörsaal und Kinderzimmer versuchen. In den westlichen Bundesländern haben sechs Prozent der Studis Kinder, im Osten sind es doppelt so viele. Studieren mit Kind bedeutet, wie eine Untersuchung des Studentenwerks feststellt, vor allem: chronischer Zeitmangel, ständig im Streß zu sein. Dabei sind es vor allem die Studentinnen, die sich um die Erziehung ihrer Zöglinge kümmern. Nur jede siebte Frau wird dabei von ihrem männlichen Partner unterstützt. Fast die Hälfte aller studierenden Mütter gab an, daß sie täglich zwischen sieben und zwölf Stunden für ihre Kinder da sein müssen.

Auf die besondere Situation von Studentinnen mit Kindern sind die Hochschulen jedoch nicht eingestellt. Claudia, eingekeilt zwischen Bücherbergen und noch nicht zusammengelegter Kinderwäsche, meint: „Anfangs war ich noch zuversichtlich, Kind und Uni gut unter einen Hut zu bringen. Inzwischen weiß ich aber nicht mehr, wie lange ich das noch durchstehe.“ Gab es in der DDR staatlich geförderte Erleichterungen bei der Studienorganisation, zum Beispiel durch ein breites Angebot an Betreuungseinrichtungen oder durch gezielte Förderung bei der Bewältigung des Studienpensums, ist davon kaum noch etwas übrig geblieben.

Bis zu 21.000 Krippen- und Kitaplätze fehlen im gesamten Bundesgebiet für Studierende. Im Osten scheint die Situation jedoch besser zu sein als im Westen – noch. So ist die Kita der HUB in der Habersaathstraße nur bis zur Hälfte ausgelastet. An der FU hingegen gibt es eine Warteliste von zwei bis drei Jahren.

Auch in den Studien- und Prüfungsordnungen werden die Probleme der Betroffenen kaum berücksichtigt. Obligatorische Veranstaltungen finden immer häufiger in den Abendstunden statt, zu einer Zeit, in der sich studierende Väter und Mütter um ihre Kinder kümmern müssen. Viele zu absolvierende Praktika kommen für die Eltern von vornherein nicht in Frage, weil eine Vollzeit-Anwesenheit verlangt wird. Und auch Fehlzeiten, durch die Krankheit von Kindern verursacht, werden in vielen Fachbereichen nicht als Entschuldigungsgrund anerkannt. Ein weiterer Kritikpunkt ist die knapp bemessene Förderungshöchstdauer beim Bafög, die maximal um zwei Semester verlängert werden kann. Ein Zeitbonus, der, wie die Erfahrung zeigt, viel zu gering ist.

Zeitmangel, Karriereknick, Geldnot – für viele bleibt nur, vorzeitig die Segel zu streichen. Die Zahl der Studienabbrüche ist bei Müttern und Vätern dann auch dreimal höher als bei ihren kinderlosen Kommilitonen. Am ärgerlichsten aber findet Claudia die Ignoranz, die man ihr entgegenbringt. „Ständig bin ich einem Erklärungsdruck ausgesetzt. Jedes Semester wieder muß ich klarstellen, warum ich abends zu den Pflichtvorlesungen nicht kommen kann. Von den Profs ernte ich dann ein Grinsen. Und es ändert sich nichts.“