Sassy versus Sissy

Girl-Punk, in den USA ein Mittel gegen den Seelentod, wurde in Deutschland päderastisch angeeignet  ■ Von Kerstin Grether

Ich hätte da eine Frage, die männliche Journalisten nie vergessen einer Frau zu stellen, egal ob es sich um eine Schauspielerin, Journalistin, Politikerin, die Mutter eines Fotomodells oder um die erste Berliner Feuerwehrfrau handelt, und diese Frage betrifft das Verhältnis der ja eigentlich ganz sympathischen Dame zum Feminismus:

Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?

Würde sie in der Regel natürlich nicht, zu dogmatisch, klar, mit einzelnen Zielen der Frauenbewegung schon einverstanden, aber als Feministin bezeichnen?

Das reicht, danke, die Frau ist vernünftig, mit der kann man reden.

Diesen Mechanismus hatten amerikanische Akademikerinnen, Musikerinnen, Journalistinnen, Schauspielerinnen in den frühen neunziger Jahren satt und durchschaut, und viele von ihnen verwenden das F-Wort seither dogmatischer denn je, gerade weil sie wissen, daß Relativierungen ohnehin zum Feminismus dazugehören. Einen besonders gelungenen Versuch, die abschreckenden Konnotationen feministischer Selbstbezichtigung für sich nutzbar zu machen, unternahm das weibliche Personal der US-Underground-Rockszene. Unzählige Musikerinnen bezeichnen sich seit ein paar Jahren als revoltierende „bitches“, „sluts“ oder einfach nur als „girls“.

Im Namen „girls“ gehen nicht nur die klassischen Zutaten jeder linken Jugendkultur ein, also lustvolle Verantwortungslosigkeit, kalkulierte Verwirrung, Spaßhaben etc., er dient auch als Abgrenzung zum „Women's Lib“-Feminismus der sechziger und siebziger Jahre; die Protagonistinnen von damals hatten zwar gewiß nichts gegen einen Gute-Nacht-Blues von Janis Joplin, und die 60s-Pop- und -Entertainment-Sängerin Helen Reddy schrieb mit „I am woman“ schon 1967 die erste Hymne der amerikanischen Frauenbewegung, aber nicht im Traum wären sie damals auf die Idee gekommen, ein Ineinandergreifen von Pop/ Gegenkultur und Feminismus zum vorrangigen Ziel ihrer Bewegung zu machen.

Die (riot-)Girls aber wollen gestylt sein und politisch denken, demokratische und konsumerische Rechte ausreizen – fight the power of mediale Verwertbarkeit. Im kleinen Kreis um das amerikanische Low-fi-Indie-Label „K Records“ verfaßten die beiden Punk- Frauenbands Bratmobile und Bikini Kill 1990 ihr zweiseitiges „Revolution Girl Style Now“-Manifest, in dem sie Mädchen dazu aufriefen, „öffentlich zu schreien und zu heulen, Bands zu gründen, Fanzines zu betreiben und sich gegen den Seelentod zu wehren“. Mittlerweile gibt es kleine Riot-Girl- Netzwerke in allen größeren US- Städten, wo sich College-Girls und High-School-Mädchen regelmäßig treffen, um ihre Sache gemeinsam voranzutreiben. Auch wer im US- Indie-Rock ganz andere, ästhetisch innovativere Ansätze verfolgt, kann sich aus awareness- pflichtigen Gründen vom Riot- Girl-Virus nicht unbeeindruckt zeigen. Dieser längst überfällige Girl-Punk mit all seinen modernen feministischen Forderungen müßte eigentlich als ganz normal beschrieben werden, wenn nicht 80 Prozent der amerikanischen und 75 Prozent der deutschen Print- Journalisten männlich wären. Daß junge Frauen Manifeste gegen Magersucht, männliche Medienmacht, sexuelle Nötigung etc. schreiben, konnte in den USA nur deshalb unzensiert zum Medien- Hype werden, weil die „neuen Mädchen“ mediale Bedingungen genau auscheckten und zum Beispiel, wenn überhaupt, nur mit weiblichen Journalisten sprachen.

Neugegründete Mädchen-Zeitschriften wie das hippe Sassy verstanden sich sofort als Teil der Bewegung und versuchen auf populistischer Basis ihren Leserinnen Karriereschleichwege, aber auch Vordertüren offenzuhalten. In einem Rahmen, der den üblichen Teenie-Magazin-Ratgeber-Kosmos ziemlich sprengt, zielen sie auf einen kreativen Umbau männlicher Dominanzstrukturen. Schon allein dadurch, daß sie in seriösen unterhaltsamen Texten die Adoleszenzphase junger Frauen fernab des üblichen „Disco-Schminken-Jungs“-Triumvirats beschreiben, machen sie klar, daß Mädchen auch Staatsbürgerinnen sind und nicht kontextlose Wesen, erfunden von der C&A-Werbeabteilung.

In Deutschland hingegen, wo es eine vergleichbare Bewegung nicht gibt, hat sich genau der gegenteilige Effekt eingestellt. (Der momentane Boom neuer kommerzieller Mädchenzeitschriften, von Joy bis Young Miss, die sich wie Fünfziger-Jahre-Modernisierungsprojekte lesen, spricht Bände über den konservativen Backlash in diesem Bereich.)

Nun sind wir ja daran gewöhnt, daß der Spiegel mindestens einmal pro Jahr das Ableben des „alten verbissenen“ Feminismus verkündet und einen „neuen unverbissenen“ heraufziehen sieht. Ende letzten Jahres hat er sich für seinen landauf, landab rezipierten Artikel über „Emmas unpolitische Töchter“ aber ausgerechnet die super- gereizten, super-feministischen Ikonen dieser amerikanischen Bewegung ausgeguckt.

Da wurde dann bunt gemischt, und neben Courtney Love und den Riot Girls waren auch die dümmlichen Luciletric plötzlich angeblich Vorbilder einer ganzen Generation von Mädchen, die „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“, ein „erträgliches Abtreibungsrecht“ und „gleiche Aufstiegschancen für Frauen“ nicht so wichtig finden wie eine gutes Girlie-Leben. Schließlich: Ich bin so froh, daß ich ein Mädchen bin. Gerade das Ineinandergreifen von Popkultur und Politik wurde also wieder obsolet gemacht, und beide Bereiche konnten so ins Reaktionäre überlappen.

Der Text löste eine Welle hysterischer Zustimmung in allen deutschen Mainstream-Medien aus, die bis heute andauert. Was da von „Aspekte“ über die Bunte, vom deutschen Rolling Stone bis zum Jugendmagazin der SZ als neues Girlie-Lebensgefühl verkauft wird, illustriert die ungebrochene Verdichtung männlicher Medienmacht und Phantasien. Das Kulturmagazin „Aspekte“ war zum Beispiel besonders geschickt in der Verschleierung der Tatsache, daß sie keine echten Frauen auftreiben konnten, die sich als „Girlies“ bezeichnen: Auf der hippen Kölner Ehrenstraße filmten sie Schaufensterpuppen, anstatt Mädchen fragten sie lieber flanierende Jungs nach einem Kommentar zu den neuen selbstbewußt-unzickigen Mädchen. Einstimmiger Konsens: „Super!“ Ein Junge brachte es auf den Punkt: „Besser kann's gar nicht kommen.“

Sogar das seriös-feministische ZDF-Magazin „Mona Lisa“ bezog sich positiv auf die Diskussion, was wohl derselben Unsicherheit in bezug auf die „unberechenbare“ Jugend geschuldet sein dürfte, die auch Emma dazu bewog, schließlich doch einen wohlwollenden Text über Luciletric ins Blatt zu nehmen. Die ergrauten Eminenzen des deutschen Mainstream-Feminismus adaptieren lieber ein paar Elemente des Girlie-Dings – ist ja verständlich, daß die jungen Mädchen heute auch Spaß haben wollen, schließlich müssen sie auch nicht mehr soviel kämpfen wie wir damals –, als eine mögliche Zielgruppe ganz zu verlieren. Auch Männer bezeichnen sich inzwischen öffentlich als geistige Pioniere der Girlies: In „Boulevard Bio“ bekannte Georg Preuss alias „Mary“ (die Spießer-Transe) seine Leihmutterschaft: Er sei schon vor 15 Jahren ein Girlie gewesen, und von ihm könnten sie alle noch was lernen.

Die päderastische Gegenimpfung, die von deutschen Medien noch schnell losgeschickt wurde (und sei es nur, um die gutgestylten Geisteswissenschaftsstudentinnen im näheren Umfeld als Konkurrentinnen in Rezessionszeiten auszuschalten), hat nicht nur gezeigt, wie einfach es ist, im provinziellen deutschen Blätterwald eine amerikanische politische Bewegung ohne den geringsten Informationsvorsprung für die eigenen Zwecke umzudeuten, sondern auch, daß es in Deutschland eines ganz bestimmt nicht zur Genüge gibt: Girlies, die sich zur Wehr setzen. Girlies, die rätselhafte Songs schreiben, die keiner entziffern kann und die trotzdem in die Charts kommen.

Girlies, die sich organisieren, um sich individualistisch und exzentrisch äußern zu können. Junge Frauen mit anderen Worten, die sich als Feministinnen bezeichnen, gerade weil es so schön dogmatisch klingt.

Hole mit Courtney Love spielen heute abend, 19.30 Uhr im Berliner Tempodrom.

„I was a typical man. I had a masterplan.“

(Todd Rundgren)