Nach Geständnis schön obszön

Rap against Karies und andere Wunderbarkeiten des Barden Pigor im BKA  ■ Von Petra Brändle

Da hat man nun Freunden und Bekannten den Pigor ans Herz gelegt, und auch dem Kollegen von der Morgenpost, hat selbst die höchsten Erwartungen – und geht dennoch mit zweifelndem Gefühl hin. Kann es denn sein, daß der Typ wirklich so gut ist? War das nicht eine momentane Laune, damals im engen und schummrigen „Club éxistentialiste“ oder bei Dr. Seltsams Frühschoppen oder wo auch immer? Klar, Thomas Pigor kennt man (vom „College of Hearts“), und auch seine Qualitäten – aber sind die wirklich so doll und vor allem mit Bestand?

Tja, und dann steht er auf der Bühne. Mit einem relativ geschmacklosen graumelierten Sommeranzug, der von C&A sein könnte, dazu rote Turnschuhe und ein schwarzer Rollkragenpullover. Die Haar sind noch geordnet, aber: Es ist noch nicht soweit, es ist noch nicht passiert: Pigor ist noch nicht da! Er bluest und chansonniert sich zwar in seinen Zigarettensong, singt mit seinem ganzen Körper, aber – damn it – er mag uns noch nicht. Das war sie also, die erste Begegnung zwischen ihm und uns – ganz nett, aber etwas verkrampft. Dabei haben wir doch ein erotisches Verhältnis! Ja, genau, für ihn sei die Beziehung zum Publikum als Ganzes erotisch, auch wenn es jeden Abend anders sei.

Ein erleichterndes Geständnis, offensichtlich. Kaum war's raus, da ist er so unverschämt locker, frisch, ein bißchen dreckig, fast schon obszön. Er leckt sich die Lippen, kurvt mit den Hüften, steigert sich in den Song rein. Der fiese neue Lover seiner Freundin weckt ihn nächtens, erzählt ihm unangenehme Intimitäten über sich selbst. Der neue Lover ist ein Widerling, dem nur mit Fränkisch beizukommen ist. Denn Pigor kommt aus einem fränkischen Kaff, und wenn's sein muß, drückt er uns die Emotionen in süddeutschem Slang rein: „I bin dr neue Lowr von dainr Fraindin“ – einfach ein Hammer.

Pigor hat eingeschlagen und setzt immer noch eins drauf, sprachlich und musikalisch. Er wandert vom Chanson zum Rap, moduliert mit Blues, Rock 'n' Roll, Swing und scratcht gar mit der Zahnbürste. Jawoll, dafür wird ihn die zahnärztliche Innung bestimmt prämieren! Mit seinem Rap against Karies hat Pigor ein völlig neues Genre geschaffen, das als „medical correctness“ in die Geschichte eingehen muß. Verdientermaßen, denn satt zwei Stunden später, bei der dritten Zugabe, liefert er mit einer Acht-Minuten- Ballade den zweiten Beweis. Aus dem dreckigsten Bordell in Senegal fliegt er raus, weil er kein „Hütchen“ dabeihat. Diesen Song über die Geilheit auf die dicke, zahnlose und alte Nutte mit „zwei oder drei Brüsten“ muß man einfach einmal im Leben gehört haben, so unbeschreiblich ist er in seiner Mischung aus Erotik, Krimi und Witz im Phantasietagebuch-Stil. Ach, man könnte noch soviel schwärmen – über seinen Schalk und die zungenbrecherische Leistung, auf französisch 65 „K“ und ungefähr vier dutzend „T“ unterzubringen, und vor allem über seine phantastische Hitler-Imitation (Hitler bei der Morgentoilette und schwermütigen Gedanken über Mund- und Achselgeruch), aber das wäre dann doch ein bißchen langweilig. Statt dessen sei hier noch der arme Benedikt Eichhorn gerühmt, der den Pigor auf dem Klavier begleiten muß. Kein Vergnügen, denn er wird permanent vom Sänger gedeckelt und runtergemacht, gar auf offener Bühne verprügelt.

Dabei ist Eichhorn ein wunderbarer Klavierspieler, ganz offensichtlich ein feiner Mensch – und ein köstlicher Komiker. Unscheinbar und unschlagbar, wie er das verkorkste Muttersöhnchen gibt, grandios, wie er die schrägen kompositorischen Wünsche Pigors erklärt, herzerwärmend, wie er dagegen seinen harmoniesüchtigen Coesfeld-Pop (veröffentlicht auf einer CD der Kreissparkasse Essen) darbietet.

Bis 14. 5., Mi.–So., 20 Uhr, BKA, Mehringdamm 32–34, Kreuzberg