Regionalwahlen als Nebelstechen

Italien erwartet Hinweise auf die Stärke der politischen Blöcke / Neues Gesetz über Gleichberechtigung der Parteien erschwert Auswahl / Parlamentsauflösung als Hauptthema  ■ Aus Rom Werner Raith

Rund 40 Millionen Bürgerinnen und Bürger – fast 90 Prozent aller Wahlberechtigten – sind am kommenden Sonntag in Italien zu den Urnen gerufen: Es geht um die Bestimmung der Regionalkammern (grob vergleichbar unseren Länderparlamenten) und ihrer Präsidenten in den 15 sogenannten Regionen mit „Normalstatut“ sowie um Neuwahlen in einer Reihe von Provinzen (vergleichbar unseren Regierungsbezirken). Lediglich die Gebiete mit Sonderverfassung, wie Sizilien und Südtirol, wählen diesmal nicht mit.

Über den Wahlausgang wagen auch Demoskopen derzeit kaum Prognosen. Eine Neufassung hat das Wahlgesetz so kompliziert gemacht, daß Versehen geradezu zur Massenerscheinung werden könnten. Die Wähler bekommen nicht nur eine ganze Reihe von Wahlzetteln in die Hand gedrückt, die alle unterschiedlich ausgefüllt werden müssen; auch die Kandidaten finden sich nicht mehr, wie gewohnt, neben ihrem Parteinamen, sondern in einem „Pool“ aus mehreren Gruppierungen, der sie unterstützt. Überdies hat jeder Wähler auch noch die Möglichkeit, einem Kandidaten eine Vorzugsstimme zu geben. Und, um die Verwirrung voll zu machen, werden dann auch noch 80 Prozent der Sitze nach Verhältnis- und 20 Prozent nach Mehrheitswahlrecht bestimmt, wofür man wiederum zwei verschiedene Rubriken benutzen muß.

Außerdem hat eine vor kurzem durchgepaukte Änderung des Zugangs der politischen Gruppen zu den Medien zusätzliche Probleme geschaffen: Die an sich löbliche Absicht, gleiche Bedingungen für alle politischen Gruppen zu schaffen (par condicio, wie der dafür verwendete Ausdruck heißt), hat sich zu einer vollkommenen Desorientierung der Wähler verkehrt. So wurden aufgrund der unterschiedlichen ökonomischen Lage der Parteien bezahlte Werbeeinschaltungen der Parteien für alle Medien kurzerhand verboten. Das hat nun nicht nur den auf derlei Einnahmen angewiesenen kleinen Regional- und Lokalsendern eine Menge Geld weggenommen, sondern die Wähler auch weitgehend aller Informationen über die Programme der einzelnen Kandidaten beraubt. Lediglich die regionalen Parteichefs kommen, in den zeitlich und räumlich genau aufgeteilten Studiosendungen mit unabhängigen Moderatoren und wenigen – unbezahlten – Wahlspots zu Wort.

Nachfragen bei Wählern ergeben denn auch, daß die meisten kaum einmal auch nur den Kandidaten ihrer Partei nennen können. Kritiker der par condicio lasten diese Verwirrung dem Chef der Linksdemokraten (PDS), Massimo D'Alema an, der sich angeblich aufgrund des in den Kommunen relativen starken Bekanntheitsgrads seiner Kandidaten Vorteile vom Informations-Blackout erwartet. Tatsächlich hat sich während des Wahlkampfs keinerlei politische Auseinandersetzung über Themen entwickelt, die die Regionen angehen würden. „Nebelstechen“ nannte il manifesto die Kampagne, „Programme: Fehlanzeige“.

Die politische Wertung des Wahlergebnisses verspricht denn auch alles andere als das, was sich Kommentatoren und auch das Wahlvolk selbst heiß erwarten, nämlich Aufschlüsse über die Stärke der politischen Blöcke nach den diversen Spaltungen der Altparteien. So hat die rechtsradikale Allianz nach ihrem Parteitag im Januar erhebliche Teile der Altfaschisten des Movimento sociale verloren; die ehemaligen Christdemokraten der „Italienischen Volkspartei“ haben sich ein weiteres Mal gespalten und stehen nun in gegnerischen Pools; der Links-Pool hat die Rifondazione comunista, das frühere Rechts- Bündnis die oberitalienischen Ligen verloren.

Dennoch wird der Ausgang der Wahlen, kommt er durch Versehen oder absichtlich zustande, Einfluß auf die weiteren Geschicke des Landes haben: Gewinnt die Rechte deutlich, wird sich die brüchige Mehrheit, die das derzeitige Technokratenkabinett von Ministerpräsident Dini unterstützt, kaum mehr halten können. Gewinnt dagegen die moderate Linke um die PDS, wird die Parlamentsauflösung zumindest bis in den Herbst, wenn nicht auf Frühjahr 1996 verschoben, was einen gewissen Erosionsprozeß bei der Rechten fördern könnte.