Die Trennung ist längst vollzogen

■ "Verdeckte Spannungen" zwischen kurdischen und türkischen Jugendlichen nehmen zu / Doch viele wollen sich nicht auseinanderdividieren lassen / Politische Unterschiede sind meist wichtiger als ethnische...

Für die 21jährige Yelda, die in einer türkisch-kurdischen Folkloregruppe tanzt, ist die Sache klar: „Bei uns haben Kurden und Türken überhaupt keine Probleme. Wir diskutieren über Politik, aber wir streiten uns nicht darüber.“ Ihre beste Freundin ist Kurdin. Sie selbst ist im übrigen zur Hälfte arabischer Herkunft.

Wie wirken sich die politischen Ereignisse in der Türkei auf das Zusammenleben von türkischen und kurdischen Jugendlichen in Berlin aus? Trennen sich die Wege zunehmend, oder spielt die Herkunft für sie nach wie vor kaum eine Rolle?

Auch einige andere Mitglieder der Folkloregruppe, die in der „Putte“ in der Fabrik Osloer Straße proben, gehören anderen ethnischen Gruppen aus der Türkei an, wie den Lasen. „Wer ist überhaupt Türke, wer ist Kurde. Das durchmischt sich doch sowieso“, stellt auch Yeldas Schwester die Einteilung in zwei Gruppen in Frage. Schließlich gibt es fünf Millionen kurdisch-türkische Ehen in der Türkei. Auch die 50 anderen ethnischen Gruppen haben sich immer miteinander vermischt. Als trennender erleben zwei andere aus der Folkloregruppe politische Differenzen. „Solange man nicht über Politik redet, versteht man sich“, sagt einer. Eine Schülerin berichtet, daß es zwischen Mitschülern des öfteren zu Schlägereien gekommen sei. „Anhänger der faschistischen Grauen Wölfe haben sich mit alewitischen Schülern im Humboldthain verabredet, um sich zu prügeln“, sagt sie. Im vergangenen Jahr hätten Graue Wölfe an ihrer Schule im Wedding eine zeitlang massiv versucht, Schüler anzuwerben. „Die, die sich prügeln“, stellt sie fest, „sind die 15- bis 16jährigen, die nicht diskutieren können.“

Auch Yeldas Schwester, die an der Technischen Universität studiert, hat die Erfahrung gemacht, daß sich die Kommilitonen in Grüppchen politisch Gleichgesinnter zusammentun. „Den Rechten und Religiösen sage ich gerade noch Hallo, aber sonst habe ich mit denen nichts zu tun“, sagt sie. Neulich habe ein fundamentalistischer Kommilitone versucht, sie zu bekehren. Aber darüber lacht sie nur.

„Putte“-Mitarbeiter Kasem bezieht ebenfalls gegen den zunehmenden Nationalismus Stellung. „Wir wollen nicht Opfer der Politiker sein und Nationalisten werden. Wir wollen den Fundamentalisten und den Nationalisten zeigen, daß wir gut miteinander im Dialog leben.“ Um diese Idee auch nach außen zu tragen, veranstaltet die Gruppe am 27. Mai in der Neuköllner „Werkstatt der Kulturen“ ein Fest, bei dem kurdische, türkische, tscherkessische und griechische KünstlerInnen auftreten. Auch im Kreuzberger Jugendkulturzentrum Ada (Die Insel) spielt es für die Jugendlichen keine Rolle, ob sie nun türkischer oder kurdischer Herkunft sind. „Die Jugendlichen, die hierherkommen halten nichts von Nationalismus. Sie verstehen sich als internationalistisch“, sagt ein Mitarbeiter.

Dennoch gibt es auch Anzeichen, daß für einige Jugendliche die Zugehörigkeit zu ihrer Gruppe wichtiger wird. Seit drei, vier Jahren hat für viele Jugendliche ihre kurdische oder auch alewitische Identität eine stärkere Bedeutung bekommen. „Früher haben sie sich oft nicht getraut, zuzugeben, daß sie Kurden sind. Sie haben sich häufig als Türken ausgegeben, um dazuzugehören“, sagt ein kurdischer Student. Inzwischen gibt es auch kurdische Jugendcliquen, die wie die Spandauer Kurdisch Boys ihre Identität nach außen auch im Namen dokumentieren. Auch die alewitischen Jugendlichen treffen sich zunehmend unter sich. Zuweilen erleichtert aber auch ein gemeinsamer Feind die Versöhnung. So legten kurdische und türkische Jugendliche einen Streit um ganz banale Dinge mit dem Argument bei: „Was sollen wir uns auch noch untereinander streiten, unsere Feinde sind doch die Nazis.“

Die PKK übt auf kurdische Jugendliche eine große Anziehungskraft aus. „Jugendliche finden es gut, wenn man konsequent ist. Und die PKK ist konsequent“, sagt einer, der der PKK recht kritisch gegenübersteht. Trotzdem betrachten viele die PKK als die kurdische Interessenvertretung schlechthin. Ein kurdischer Student berichtet, daß es unter kurdischen Jugendlichen geradezu chic sei, sich als PKK-Sympathisant auszugeben, auch wenn dies gar nicht stimme. Es gibt auch Anhaltspunkte dafür, daß die PKK in Berlin Jugendliche für den bewaffneten Kampf in der Türkei rekrutiert. Einem Vertreter einer Immigrantenorganisation sind allein aus seinem persönlichen Umfeld sieben Jugendliche bekannt, die sich in PKK-Lagern im Ausland ausbilden lassen. Danach kehrten sie meist nach Deutschland zurück.

„Die Trennung zwischen Türken und Kurden hat sich schon längst vollzogen. Die beiden Gruppen meiden sich inzwischen“, stellt der bündnisgrüne Abgeordnete Ismail Hakki Koșan, selbst alewitischer Kurde, fest. Während ein anderer von „verdeckten Spannungen“ zwischen kurdischen und türkischen Jugendlichen spricht, weiß Koșan von Fällen, in denen es zwischen türkischen und kurdischen Arbeitskollegen schon zu Beschimpfungen und Handgreiflichkeiten kam. Politische Meinungsverschiedenheiten führten sogar dazu, daß einige Türken und Kurden zu ihrem Meister gingen und erklärten, nicht mehr mit ihren Landsleuten zusammenarbeiten zu wollen.

Spaltungen gibt es aber selbst unter Kurden. Da sind zum Beispiel die beiden politisch aktiven Schwestern, die sich gut verstehen. Dann heiratet eine Schwester einen Aktivisten von „Komkar“, einer Organisation, die sich mit friedlichen Mitteln für eine kurdische Autonomie einsetzt. Als sich die andere Schwester der PKK zuwendete, kam es zum Streit. Seitdem reden sie kein Wort mehr miteinander.

Auch Ehen gehen zuweilen an der Zugehörigkeit zu verschiedenen ethnischen Gruppen kaputt. Die Ehe eines jungen Kurden mit seiner Schulfreundin, einer kurdischen Alewitin, ging ein halbes Jahr nach der Hochzeit in die Brüche. Die Familie der Braut befand plötzlich, daß eine Ehe zwischen einer Alewitin und einem Sunniten ein Ding der Unmöglichkeit sei und brachte die beiden auseinander.

Wie ließe sich also die zunehmende Spaltung von Türken, Kurden und Alewiten stoppen? „Das ist ganz einfach“, sagt der bündnisgrüne Abgeordnete Ismail Kosan. „Man müßte die türkische Gemeinde, den Türkischen Bund, die Kurdische Gemeinde und die Alewiten an einen Tisch bringen.“ Sie müßten sich alle für ein gemeinsames Zusammenleben jenseits der ethnischen Zugehörigkeit einsetzen. Das tun sie zwar in Presseerklärungen, doch schon mit der Zusammenarbeit der Organisationen untereinander ist es schlecht bestellt. So erscheint die Türkische Gemeinde seit zwei Jahren nicht zu Treffen, an denen auch die Kurdische Gemeinde teilnimmt. Dennoch nimmt Koșan jetzt einen neuen Anlauf. Für den 22. April hat er türkische und kurdische Persönlichkeiten zu einer Diskussionsrunde eingeladen. Dorothee Winden