Nachschlag

■ Zwischen Leidenschaft und Gewalt: „Sauersüßer Tango“ — Tanz im Ballhaus Naunynstraße

Das erste, was von der Tänzerin zu sehen ist, sind ihre Füße. Nackt und winzig schauen sie unter einem dunklen Vorhang hervor, kriechen allmählich, die Sohlen zum Publikum gewendet, ins helle Licht der Bühne. Es ist still. Unterschenkel, Oberschenkel werden sichtbar. Eine Frau in Gebärposition schiebt sich liegend vorwärts. Lange Zeit ist nur ihr Körper zu sehen, marionettenhaft zuckend. Ihr Gesicht, das sie als letztes zeigt, ist schockierend – unbelegt, zu einer seelenlosen Maske erstarrt.

„Sauersüßer Tango“ heißt die erste gemeinsame Produktion der beiden italienischen Tänzerinnen Adalisa Menghini und Francesca Patrone zusammen mit dem Schlagzeuger Mirko Gargioni in Berlin. Doch mit Tango hat das Ganze zunächst wenig zu tun. Kein Bandoneon, keine Leidenschaft, noch nicht einmal ein Tangorhythmus, sondern eine wuchtige Geräuschkulisse aus schweren metallischen Schlägen, zu der sich die beiden Tänzerinnen wie einander ähnelnde Schaufensterpuppen bewegen. Kühl. Kein Gefühl. Dann stiefelt der Musiker persönlich auf die Bühne und wirft das Grammophon an. Endlich ein Tango. Doch die sinnliche Gluthitze, die schwüle Atmosphäre bleiben aus – die uralten Schellackplatten halten die Musik hinter einem Rauschschleier, und auch die Tänzerinnen wirken irgendwie verstört. Hölzern, wie in einen ungeliebten Körper eingesperrt. Was ist bloß mit den beiden los?

„Sauersüßer Tango“ ist ein Tanzstück über die schmale Grenze zwischen Leidenschaft und Gewalt, über zwei Menschen, die ohne einander, aber auch miteinander nicht leben können. In sieben Episoden wird vorgeführt, wie die beiden Frauen sich beschützen und beherrschen, einander halten und festhalten. Wie sie sich gegenseitig belehren und quälen, Hand in Hand gehen, im Duett singen und dabei in eine Abhängigkeit geraten, welche tiefer ist als Liebe und Freundschaft. Die Tänzerinnen sind kindlich, sadistisch und manchmal sogar lustig, überzeugen als Marionetten ebenso wie als gefühlvolle Menschen. Dazu gibt es eine eigene Musikebene auf und hinter der Bühne, Schlagzeug brutal oder Maultrommel, Konserve und live, perfekt synchron mit den Tänzerinnen und doch weit mehr als nur Illustration. „Sauersüßer Tango“ ist ein bestürzendes Stück. Es macht einen traurig, froh und nachdenklich zugleich. Christine Hohmeyer

Bis 25.4., 20 Uhr, Ballhaus Naunynstraße (27), Kreuzberg