Keine Unterstützung für die Stütze

■ Bundesarbeitsminister Blüm will den Kommunen die Kosten für den Vorruhestand aufbürden, um die Arbeitsämter zu entlasten / Neue Regelungen werden demnächst auch für die Privatwirtschaft gelten

Berlin (taz) – Mit durchschnittlich 59,5 Jahren geht der westdeutsche männliche Arbeitnehmer derzeit in den Ruhestand. Nicht mehr lange, wenn sich Bundesarbeitsminister Norbert Blüm durchsetzt. Ein neuer Erlaß, der auf Anweisung Blüms vor einigen Wochen an alle Dienststellen der Arbeitsämter verschickt wurde, dürfte künftig den Angestellten in Behörden und Verwaltungen eine längere Lebensarbeitszeit bescheren. Die Kommunen kostet er Millionen. In einem offenen Brief protestierten daher auch die Oberbürgermeister zehn großer Städte in Nordrhein- Westfalen gegen die neue Regelung. Mit dem Erlaß wird den Kommunen indirekt untersagt, weiterhin Arbeiter und Angestellte mit 58 Jahren auf Kosten der Arbeitsämter in den Ruhestand zu schicken. Um den Vorgang zu verstehen, braucht es bürokratischen Feinsinn: Wird ein 58jähriger entlassen, gewährt das Arbeitsamt wie üblich Arbeitslosengeld. Zusammen mit der Abfindung addiert sich die „Stütze“ zu einem erträglichen Einkommen, mit dem die Zeit bis zur Rente überbrückt wird. Laut Gesetz haben die Arbeitgeber aber gegenüber dem Arbeitsamt eine „Erstattungspflicht" für dieses Geld, wenn sie Ältere entlassen. Diese Erstattungspflicht kommt wiederum dann nicht zum Tragen, wenn dies für die Arbeitgeber „eine unzumutbare Belastung“ bedeutet und „die verbleibenden Arbeitsplätze“ gefährdet hätte. Hunderte von Unternehmen und Behörden beriefen sich auf diesen Passus und entledigten sich so kostengünstig ihrer älteren Belegschaft.

Damit soll jetzt Schluß sein. Die Gemeinden seien nicht konkursfähig und damit auch nicht existenzgefährdet, also müßten sie das Arbeitslosengeld für ihre Vorruheständler erstatten, entschied Blüm. Der Protestbrief kam von den Oberbürgermeistern der Städte Bielefeld, Bochum, Dortmund, Duisburg, Düsseldorf, Essen, Gelsenkirchen, Hagen, Köln und Wuppertal: „Die Städte an Rhein und Ruhr befinden sich gegenwärtig in der schwersten Finanzkrise der Nachkriegszeit und dürfen deshalb nicht schlechter als jedes konkursgefährdete Privatunternehmen gestellt werden“, schäumten die Stadtoberen. Deren Hauptsorge: Die Arbeitsämter könnten von den Kommunen auch noch die Erstattung der schon gewährten Leistungen für Vorruheständler fordern. Nach ersten Schätzungen der genannten Städte würde eine Erstattungspflicht „zu einer Summe von rund 30 Millionen Mark führen“, fürchten die Oberbürgermeister. Es geht aber nicht nur ums Geld. Ältere Mitarbeiter vorzeitig nach Hause zu schicken, sei mitunter die einzige Möglichkeit, überhaupt noch jüngeres Personal einzustellen und zu behalten. „Sonst müßten wir im Zuge des Personalabbaus vor allem die jüngeren und noch kündbaren Mitarbeiter entlassen“, schildert Solveig Kiock, Sprecherin beim Oberstadtdirektor in Gelsenkirchen.

Nicht nur für die Angestellten in den Kommunen, auch für die Beamten soll der „frühe Ausstieg“ künftig erschwert werden. Innenminister Kanther will die Antragsaltersgrenze für den vorzeitigen Ruhestand (ohne gesundheitliche Gründe) von 62 auf 63 Jahre heraufsetzen. Bei vorzeitiger Dienstunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen sollen die ärztlichen Tests strenger ausfallen.

Wie ein Sprecher des Arbeitsministeriums bestätigte, will Blüm auch den Vorruhestand in den Privatbetrieben stoppen. Er plant neue gesetzliche Regelungen, durch die sich auch Privatunternehmen nicht mehr so leicht vor der Erstattung des Arbeitslosengeldes an die Arbeitsämter drücken können, wenn sie Ältere in den Ruhestand schicken. Seit Beginn des Jahres 1995 gelten ohnehin schon die verschärften Sperrzeitvorschriften für Arbeitslose, die mit Aufhebungsvertrag aus dem Unternehmen ausscheiden.

Der Effekt der „Vorruhestandsblockaden“ dürfte erheblich sein. Hunderttausende verabschieden sich derzeit schon vor dem 60. Lebensjahr mit dem „goldenen Handschlag“ aus dem Berufsleben. Die Statistik verzeichnet 152.000 Erwerbslose, die mindestens 58 Jahre alt sind und dem Arbeitsmarkt auf eigenen Wunsch „nicht mehr zur Verfügung“ stehen. Barbara Dribbusch