Verhaftungswelle im Gaza-Streifen

■ Palästinensische Polizei nimmt 170 Islamisten fest / Erster Hamas-Aktivist von Sondergericht zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt / Israelische Armee sperrt Straßen innerhalb des Autonomiegebiets

Tel Aviv/Gaza (dpa/AFP/taz) – Die palästinensische Polizei hat im Zuge ihrer größten Razzia seit Erlangung der Autonomie im Gaza- Streifen bis gestern mittag 170 Mitglieder der radikalen Palästinenser-Gruppen Hamas und Islamischer Heiliger Krieg festgenommen. Gruppen schwerbewaffneter Polizisten durchkämmten seit Sonntag abend mehrere Viertel in Gaza und Khan Yunis und durchsuchten etwa tausend Häuser im gesamten Gazastreifen.

Die Polizeiaktion begann wenige Stunden nach zwei neuen Selbstmordanschlägen palästinensischer Islamisten gegen jüdische Siedler und Soldaten im Gaza- Streifen, bei denen nach letzten Angaben israelischer Stellen nicht sieben, sondern sechs Israelis und die beiden Attentäter umkamen. 35 Opfer liegen noch in Krankenhäusern, einige mit lebensgefährlichen Verletzungen.

In der palästinensischen Polizei wurde eingeräumt, daß sie bei der Polizeiaktion vor allem politische Vertreter der Islamisten festgenommen hätten. Die militärischen Spitzen sind offenbar untergetaucht. „Wir haben sie (die Islamisten, d.Red.) nicht festgenommen, weil sie Mitglieder des Jihad oder von Hamas sind, sondern weil sie zur Gewaltanwendung aufgerufen oder sie unterstützt haben“, erklärte der palästinensische Generalstaatsanwalt Chaled el Kidra gestern. Die mit kugelsicheren Westen und Namenslisten ausgestatteten Polizisten hätten die verdächtigen Personen aus ihren Häusern herausgeholt.

Nach in Gaza kursierenden Gerüchten haben Hamas-Vertreter dem Chef der palästinensischen Polizei, Razi al Dschabali, für die Verhaftungswelle Vergeltung geschworen. Dschabali sei ein Kollaborateur der Israelis, ein Trinker und Frauenheld, der Hamas nicht entgehen werde, hieß es.

Gleichzeitig verurteilte ein von PLO-Chef Jassir Arafat eingesetztes Sondergericht gestern einen Hamas-Aktivisten zu 15 Jahren Haft. Samir el Dschidi war offiziell eines Vergehens „gegen die Sicherheit der Autonomie“ angeklagt. Er hatte unter anderem Zehnjährige zu Selbstmordattentätern ausgebildet. In dem Urteil hieß es, el Dschidi habe „den Islam mißbraucht, um zum Bruderkrieg unter Palästinensern aufzurufen“.

Im Zuge der jüngsten Anschläge steht Arafat unter noch größerem israelischen und US- amerikanischen Druck als bisher, hart gegen radikale palästinensische Islamisten durchzugreifen. Die israelische Regierung hatte bereits zuvor gedroht, daß die Verwirklichung der im Osloer Abkommen beschlossenen, aber immer wieder verzögerte Ausdehnung der Autonomie auf die Westbank auch über das jetzt anvisierte Datum 1. Juli hinaus aufgeschoben werden muß, wenn Arafats Schritte gegen die islamistischen Kräfte keine Früchte tragen werde und Attentäter weiterhin die Sicherheit von Israelis gefährden.

Da die Selbstmordanschläge in Israel und im Gazastreifen zeigen, daß auch die Schließung und Überwachung der palästinensischen Gebiete keine absolute Sicherheit bringt, suchen die Behörden nun nach noch rigoroseren Methoden der Absprerrung der Gebiete und der Trennung zwischen der palästinensischen und israelischen Bevölkerung. So sperrte die israelische Armee wichtige Verbindungstraßen innerhalb des Gazastreifens für den palästinensischen Verkehr. Dabei handelt es sich um Straßen nahe der Siedlungen Kfar Darom und Nezarim, in deren Nähe die beiden Attentate verübt wurden. Die Strategie der Trennung soll jetzt auch im umzingelten Autonomiegebiet selbst wirksam werden, wie der israelische Polizeiminister Mosche Shahal gestern angekündigt hat.

Überschattet von den Anschlägen gingen gestern in Kairo die Autonomiegespräche zwischen Israel und den Palästinensern weiter. Der israelische Chefdelegierte, Joel Singer, sagte bei seiner Ankunft, ein Abbruch der Verhandlungen würde bedeuten, daß die Taten von Terroristen „honoriert“ würden.Kommentar Seite 10