Über gewisse Grenzen hinausgehen

■ Seit in der EU über eine Quotenregelung für Fernsehsender diskutiert wird, reden alle über "Eigenproduktionen". Die taz sprach mit Jan Körbelin, dem Programmdirektor von Pro 7, über die Programmstrategie..

Infolge der drastischen Verteuerung attraktiver Kinofilme haben RTL, Sat.1 und Pro 7 in den vergangenen Monaten den Eigenproduktionsanteil ihrer Programme erheblich erhöht. RTL 2 wird im Herbst mit der TV-Movie-Reihe „Die jungen Wilden“ nachziehen. Pro 7, als Spielfilmsender eingeführt, muß auf diesem Gebiet besondere Anstrengungen unternehmen, um sein Prestige zu wahren. Demgemäß setzt man dort auf ein ambitioniertes Produktionsprofil und vermochte die TV-Kritik im Serienbereich auch qualitativ zu überzeugen: Sowohl der von den Zuschauern gemiedene „Gletscher- Clan“ als auch die originelle Krimiserie „Alles außer Mord“ waren in diesem Jahr für den Grimme-Preis nominiert.

taz: Läßt sich das Konzept von Pro 7 für die Eigenproduktion von Spielfilmen in wenigen Stichworten zusammenfassen?

Körbelin:Wir bedienen eine Zuschauerschaft, die mit dem amerikanischen Kino großgeworden ist, die ein bestimmtes Gefühl für Rhythmus und Tempo hat, für gut durchdachte Spannungsbögen. Wir müssen da über gewisse Grenzen hinausgehen, die im Moment im deutschen Fernsehen bestehen, und zielgerechte Programme machen, auch im Serienbereich, die eine Spielfilmqualität haben und sich absetzen von dem typischen, ein bißchen biederen und verstaubten, austauschbaren Standardangebot. Vor allem gilt: Qualität über Quantität. Und wir wollen programmliche Highlights setzen.

Ist dieser Prozeß nicht auch bereits anderweitig festzustellen? Ich denke da an den „Tatort“ von Thomas Bohn ...

Er ist erfreulicherweise auch woanders festzustellen, wobei es sicherlich so eine Art Cross-Fertilisation gibt. Wir streben aber an, der Qualitätsführer zu sein, indem wir auch junge Talente, junge Regisseure, junge Autoren binden.

Sie orientieren sich bewußt an amerikanischen Arbeitsweisen?

Absolut. Besonders in der Drehbuchphase sind neue Wege zu beschreiten. Wir müssen weg von diesem „Auteur“-Prinzip. Filmemachen ist Teamarbeit. Zig Menschen sind beteiligt an einer Produktion. So kann es für ein Programm ja nur förderlich sein, wenn auch beim Skript eine kreative Arbeitsteilung stattfindet und jemand mit einer Begabung für Dialoge sich ganz auf diese konzentriert, und jemand, dessen Stärke die Strukturierung einer Geschichte ist, sich darum kümmert.

„Alles außer Mord“ stand jüngst in direkter Konkurrenz zu zwei weiteren deutschen Krimiserien („Peter Strohm“; „A.S.“). Hat die Serie diese Bewährungsprobe bestanden?

Ja. „Alles außer Mord“ lief ja schon letztes Jahr sonntags gegen den „Tatort“ und hat sich trotz starker Konkurrenz erfolgreich geschlagen. In diesem Jahr wurde die Reihe ursprünglich für den Dienstag eingeplant, weil zu der Zeit die Konkurrenz den Dienstag mit dem Krimigenre nicht besetzt oder gerade aufgegeben hatte. Kurze Zeit darauf war auch „Peter Strohm“ auf diesem Sendeplatz, „Die besten Detektive“ bei RTL, und kurzfristig auch wieder „A.S.“. Das ist natürlich ein bißchen unglücklich, wenn plötzlich vier Sender die Krimifarbe am selben Tag bedienen. „Alles außer Mord“ ist ein qualitativ hochwertiges Programm. Die Quoten liegen derzeit noch nicht ganz da, wo wir sie haben wollen. Aber man darf solche Programme am Anfang nicht nur rein quantitativ bewerten. Ebenso wichtig ist auch die allgemeine Resonanz, was sie in der kreativen Gemeinschaft erreichen, was für einen Eindruck sie beim Zuschauer hinterlassen, welchen Imagewert sie haben. Ich persönlich glaube, man muß mit guten Produktionen immer Geduld haben...

Diese Geduld haben Sie auch?

Die sollten wir haben.

Es gibt viele Beispiele aus der US-Fernsehgeschichte, daß Serien erst beim zweiten Anlauf erfolgreich wurden.

Ja – „Hill Street Blues“ ...

„Star Trek“ ...

Ja, genau. Es gibt viele Programme, die eine oder sogar zwei Programmperioden nicht funktioniert haben, sogar abgesetzt wurden, und später dann mit wehenden Fahnen zurückkamen. Fernsehen ist ein Gewohnheitsmedium, und viele Leute entdecken gewisse Sendungen erst mittel- oder langfristig für sich.

Werden Sie denn den Dienstag als Krimitermin beibehalten?

Die Fernsehlandschaft ändert sich sehr schnell. Wir denken langfristig und versuchen immer Grobplanungen zu machen, etwa ein Jahr im voraus, und dann geht es in die Feinjustierung. Manchmal ändert sich die Situation kurz vor Sendetermin wieder so radikal, daß natürlich reagiert werden muß. Im Moment ist die allgemeine Programmierungssituation bei den Sendern ziemlich unruhig und man muß mitunter kurzfristig reagieren, um bestimmte Programme optimal zu positionieren. Es zeigt sich, daß bestimmte Genres an bestimmten Tagen eine höhere Akzeptanz haben beim Zuschauer. Aber das sind natürlich auch Einschätzungen, die auf Erfahrungswerten beruhen. Man muß immer wieder mal versuchen, Gewohnheiten aufzubrechen und andere Sendeplätze zu etablieren. Gute Programme ziehen die Zuschauer mit. „Akte X“ zum Beispiel hat sich sowohl am Montag als auch am Freitag extrem gut bewährt.

Wird die Bedeutung der TV- Movies künftig weiter zunehmen?

Ja. TV-Movies sind im Eigenproduktionsbereich eines Senders eine Möglichkeit, bestimmte Problematiken, aktuelle Themen zu adressieren, die traditionell beim Film eher schwer umzusetzen sind, die auch, wenn man sie als Film machen würde, vielleicht nicht so ihr Publikum finden würden wie über den Fernseher. Unsere TV- Movies sollen dabei durchaus filmische Qualitäten haben und einem Kinofilm auch handwerklich nicht nachstehen.

Zuletzt ein delikates Thema: der „Gletscher-Clan“. Stimmen Sie der in Teilen der Presse geäußerten Ansicht zu, die Serie sei vor allem an der ungünstigen Plazierung gescheitert?

„Der Gletscher-Clan“ ist eine hochwertige Produktion gewesen, mit hochkarätigen Schauspielern, auch von der Thematik her nicht uninteressant, aber vielleicht etwas kompliziert. Es kann sein, daß die Serie einfach nicht das war, was das Publikum bei Pro 7 gesucht hat und von uns gewohnt ist. Es wird in Deutschland immer schwerer, neue Programme zu etablieren. Der deutsche Zuschauer ist so selektiv geworden – ich würde mal sagen, er ist verwöhnter als die Amerikaner, was das betrifft. Denn er hat nicht nur deutsche Produktionen zur Auswahl – er hat das vielfältigste Programmspektrum zur Disposition: Er hat die amerikanischen Programme, er hat eine umfangreiche Auswahl an internationalen Produktionen, er hat auch eine Palette verschiedenster Genres zur Primetime wie zum Beispiel große Showformate, die in der Form in den USA eigentlich gar nicht mehr vorhanden sind. Dort hat – das wird sich vielleicht über kurz oder lang hier auch etablieren – eine totale Homogenisierung der Programmgenres und -strukturen stattgefunden, eine Reduzierung auf eine Handvoll Formate wie Comedies, Serien, TV-Movies, Filme und vielleicht noch Reportagen wie „Current Affair“ oder „60 Minutes“.

In Deutschland hingegen existieren noch die großen Unterhaltungsshows, Dokumentationen und vieles mehr, was auch am Hauptabend gut funktioniert – insgesamt eine Riesenpalette an Programmformen. Weil natürlich bei diesem Angebot sehr kritisch und selektiv geschaut wird und gestützt durch den Umstand, daß die Sender eine sehr starke Positionierung haben – Pro 7 etwa eine starke Positionierung als Spielfilmsender –, werden Programme unter Umständen nicht gefunden, so wie es beim „Gletscher-Clan“ der Fall war. Allein an der Programmierung wird es nicht gelegen haben. Auch die Programmerwartungen des Zuschauers machen viel aus. Interview: Harald Keller