Ein Viertel weniger ist nicht tödlich

■ Gesundheitsminister Horst Seehofer will bei der Sozialhilfe Milliardenbeträge einsparen

Bonn (taz) – Die anstößigsten Punkte hatte Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) aus seinem Sozialhilfe-Entwurf gestrichen oder aufgeschoben. Die Umstellung von Geld auf Sachleistungen in bestimmten Fällen ist vorerst von der Tagesordnung, und über die umstrittene Kürzung der Leistungen für Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge soll später entschieden werden. Doch bleibt es bei weiteren großen Schnitten in dieses Stück des sozialen Netzes. Gestern stellte Seehofer seine „Eckpunkte für eine Reform des sozialen Netzes“ in Bonn vor. Von Sparplänen wollte er dabei nicht reden. Erklärtes Ziel sei eine „Abschwächung der Ausgabendynamik“ bei der Sozialhilfe, formulierte Seehofer. Mögliche Einsparungen der für die Sozialhilfe zuständigen Kommunen lägen „eher im Milliarden- als im Millionenbereich“.

Ab 1999 soll der Bund Mindestregelsätze für die Sozialhilfe festlegen, die sich an „der allgemeinen Einkommensentwicklung im Rahmen des Bedarfsdeckungsprinzips“ orientieren. Als Übergangslösung soll bis 1999 die Entwicklung der Regelsätze allein an die Nettolöhne gekoppelt werden. Diese wiederum sinken seit ein paar Jahren real. Sozialhilfeempfänger, die eine „zumutbare Arbeit“ ablehnen, werden, wenn Seehofer sich durchsetzt, künftig in jedem Fall mit einem Abzug eines Viertels ihrer Sozialhilfe bestraft. Bisher standen Abzüge im Ermessen der Sachbearbeiter. Ein menschenwürdiges Leben sei auch nach Abzug von 25 Prozent noch möglich, sagte Seehofer, denn die Sozialhilfesätze lägen über dem zum Überleben notwendigen Betrag.

Die Differenz zwischen niedrigen Löhnen und Einkommen einerseits und der Sozialhilfe andererseits möchte Seehofer auf 15 Prozent festlegen. Bisher gilt ein Betrag von 260 Mark Differenz. In die Berechnung dieses „Lohnabstands“ werden auch einmalige Zahlungen einbezogen. Für die ostdeutschen Länder wird die 15-Prozent-Regel erst ab 1999 gelten. Sozialhilfeempfängern in eheähnlichen Partnerschaften werden die freiwilligen Unterhaltszahlungen ihres Freundes oder ihrer Freundin auf die Sozialhilfe angerechnet.

Neben Kürzungen enthält Seehofers Entwurf auch Reformansätze: So sollen „vorrangige Sozialleistungsträger“ wie Renten- oder Arbeitslosenversicherung die Sozialhilfe nicht mehr als Vorschußkasse nutzen können. Bis zur Auszahlung von Rente oder Arbeitslosengeld müßten die entsprechenden Sozialversicherungen selbst Vorschüsse an bedürftige Antragsteller zahlen. Schwer vermittelbaren Sozialhilfeempfängern soll der Einstieg in eine Erwerbsarbeit erleichtert werden – zum Beispiel durch Lohnkostenzuschüsse bei Niedrigstlöhnen, Weiterbildungsangebote und dadurch, daß ihre ersten Arbeitslöhne nicht sofort und vollständig zur Kürzung oder Einstellung der Hilfe führen.

Der SPD-Sozialpolitiker Schreiner glaubt Seehofers Versprechen, kinderreichen Familien werde keine niedrigere Sozialhilfe zugemutet, nicht: „Nur bei dieser Gruppe kann es ausnahmsweise dazu kommen, daß ein Arbeitseinkommen niedriger ist als die Sozialhilfe. Nur da wäre das Lohnabstandsgebot überhaupt noch durchzusetzen.“ Andrea Dernbach Seite 4