Merkwürdiges Tagungsresümee

■ betr.: „Kids zum Kaufrausch ver führt?!“, taz vom 15. 3. 95

Reinhard Lükes Behauptung, daß „aus den wenig konstruktiven Statements der Kinder- und Verbraucherschützer in erster Linie hehrer Pädagogenglaube spricht, daß Fernsehen grundsätzlich nichts für zarte Kinderseelen sei und Werbung sowieso vom Teufel komme“, ist zwar wunderbar zynisch formuliert, entspricht aber nicht den Podiumsbeiträgen. [...]

1. Es ging nicht um die Frage, ob Fernsehen für Kinder schädlich sei, sondern darum, ob Kinder souveräne Nutzer oder manipulierte Opfer von Fernsehwerbung sind, und ob wir tatsächlich auch noch werbefinanzierte Kinderkanäle brauchen.

2. Keineswegs „kommt Werbung vom Teufel“. Sie wird von Männern und Frauen gemacht, die selber Kinder als „wandelnde Markenspeicher“, als „Kaufmotoren der Familie“ oder als „eine Art Brachland“ bezeichnen, „das für Gegenwarts- und Zukunftsernten bearbeitet werden muß, bevor es ein anderer tut und bevor die beste Saatzeit vorüber ist“. Über die sozialen und ökologischen Nebenwirkungen ihrer Marketingpolitik machen sich die Marktstrategen keine Gedanken. Es scheint sie nicht im geringsten zu beunruhigen, daß bereits Vorschulkinder in Markensymbolen denken und ihre Gruppenzugehörigkeit von Marken abhängig ist.

3. Lükes sehnsuchtsvoller Wunsch „nach einem Werbeprofi, der einmal schlicht und ergreifend demonstriert hätte, nach welchen Erkenntnissen und mit welchen Finessen Kinderwerbung inzwischen produziert wird“, ist reichlich naiv. Denn wenn Werbeprofis sich überhaupt öffentlichen Diskussionen über Werbewirkung stellen, dann betonen sie stets, daß man gar nicht weiß, ob, wie und welche Werbung tatsächlich wirkt. Ihren Auftraggebern gegenüber können sie sich solche Sprüche nicht leisten.

4. Werbung kann zwar nicht zum alleinigen Sündenbock gemacht werden. Aber sie ist ein ganz wesentlicher Teil unserer Gesellschaft, die den maximalen Konsum von Waren und Dienstleistungen zur Erhaltung des sogenannten Wohlstandes voraussetzt und deren Konsum- und Produktionskreislauf auch umwelt- und menschenfeindliche Auswirkungen hat. Werbung darf deshalb nicht aus ihrer ökologischen und sozialen Verantwortung entlassen werden.

5. Vor dem Hintergrund, daß jährlich knapp 600 Millionen Mark (Netto-Investitionen) in Werbung für die Kinder investiert werden, um sie zu kauffreudigen Konsumenten, zu Markendurchsetzern und treuen Kunden zu erziehen, sind zum Schutze der Kinder und zur Unterstützung der Eltern kinderpolitische Maßnahmen dringend geboten. Gerade Anbieteruntersuchungen belegen, daß Kinder (aufgrund des Werbebombardements) in immer stärkerem Maße die Kaufentscheidungen in der Familie beeinflussen. So sollen die Kids nicht nur beim Brotaufstrich oder der Urlaubsplanung mitreden, sondern auch beim Auto- und Computerkauf des Vaters oder beim Kosmetikshopping der Mutter. Insofern ist die Behauptung des Autors, daß Kinder aus intakten Familien vor Werbung eher gefeit sind, nicht nur äußerst fragwürdig, sie widerspricht auch den Ergebnissen der vorgestellten Studie. Edeltraud Cebulla-Jünger,

wissenschaftliche Mitarbeiterin

der Verbraucher-Zentrale

NRW, Düsseldorf