■ Gestern wurde im Berliner Museum für Verkehr und Technik eine Ausstellung über acht Technikerkarrieren in den Jahren von 1940 bis 1950 eröffnet: Aus Zielgeräten wurden....
: Wie die Nazis den Joystick erfanden

Gestern wurde im Berliner Museum für Verkehr und Technik eine Ausstellung über acht Technikerkarrieren in den Jahren von 1940 bis 1950 eröffnet: Aus Zielgeräten wurden Fernseher, aus Fallschirmseide Damenstrümpfe, aus Massenvernichtungswaffen Raumschiffe, aber Professoren bleiben Professoren

Wie die Nazis den Joystick erfanden

„Wäre das Fernsehen während Hitlers Regime schon weiter verbreitet gewesen“, so spekulierte der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan, „würde er sich nicht lange gehalten haben. Wenn das Fernsehen schon vorher aufgekommen wäre, hätte es überhaupt keinen Hitler gegeben.“ War es eine Ahnung, daß er vor dem neuen Medium nicht würde bestehen können, die Hitler so reserviert auf die Fortschritte des Fernsehens reagieren ließ? Eine Ahnung des drohenden Kontrollverlustes über das sorgsam konstruierte und unter Krämpfen aufrechterhaltene Herrscherbild durch die Live-Übertragung? Fernsehbegeisterten wie dem Staatssekretär im Postminiterium und späterem Reichspostminister Wilhem Ohnesorge, die es als „heiligste Mission“ betrachteten, via TV „das Bild des Führers unverlöschlich in alle deutschen Herzen zu pflanzen“, mußte es enttäuschen, wenn dieser mit dürren Grußworten „ihrer Arbeit weiter guten Erfolg“ wünschte.

Das war 1935. Bald schon, mit Kriegsbeginn, ergaben sich neue Chancen, Hitler die neue Technik anzudienen. Das Fernsehen sollte nun nicht mehr dem Volk das Bild des Führers, sondern dessen Soldaten das Bild ihrer Opfer übermitteln. Der Traum des Wilhelm Ohnesorge – die fernsehgelenkte Gleitbombe, von einem Bomberschützen vor dem Monitor per Joystick ins Ziel gesteuert.

Zu den beklemmendsten Bildern, die in der Ausstellung des Museums für Verkehr und Technik zu sehen sind, gehören die Aufnahmen aus dem Kopf einer dieser Bomben, die auf ein Schiff zu rast. Unmöglich, dabei nicht an den Golfkrieg zu denken.

Die historisch skrupulösen Ausstellungsmacher freilich ziehen keine solchen Verbindungen. Sie sind auch nicht ihr Thema. Ihnen geht es um die Forscher und Funktionäre, die die technische Entwicklung in Deutschland zwischen 1940 und 1950 betrieben haben, genauer gesagt, um deren Credo, das der Ausstellung den Titel gab: „Ich diente nur der Technik.“ Sieben deutsche Technikerkarrieren werden in biographischen Dokumenten und am Material ihrer Erfindungen vorgestellt – sieben Probebohrungen in Schichten der jüngsten Vergangenheit, die dort weitergehen, wo die offizielle Ereignisgeschichte Diskontinuität, Bruch und Neuanfang behauptet.

Bekannt ist die Geschichte des Raketeningenieurs Wernher von Braun, der der Nasa mit der gleichen Begeisterung wie zuvor dem Führer diente. Als Massenvernichtungswaffe, der schon vor dem ersten Flug Tausende Buchenwald- Häftlinge bei der Zwangsarbeit in Mittelbau/Dora zum Opfer fielen, wie als Mondreisemittel war die Rakete seine Obsession. Um hehre Worte über den „Menschheitstraum Mondfahrt“ war von Braun nicht verlegen – aber nie ist auch nur ein Wort des Bedauerns über die etwa 20.000 toten Arbeitssklaven über seine Lippen gekommen, die seiner Karriere den nötigen Schub gegeben haben. Ein in der Ausstellung gezeigter Brief beweist, daß von Braun persönlich in Buchenwald Häftlinge zur Zwangsarbeit ausgesucht hat. In der Ausstellung sind sie dezent, aber eindringlich repräsentiert durch ein paar abgenutzte Holzschuhe aus KZ-Beständen. Am kommenden Dienstag – auch ein Gedenktag – jährt sich die Befreiung des KZ Mittelbau/Dora zum fünfzigsten Mal.

Der Fall des Wilhelm Ohnesorge geht dem Besucher näher als die Geschichte von Brauns. Mit Ohnesorges Obsession gehen wir täglich um. Unsere liebe Kiste: Durch die Ausstellung erscheint sie, diese unverdächtig zivile Errungenschaft, als ein glücklicher Fall des „Mißbrauchs von Heeresgerät“, wie der Berliner Medienphilosoph Friedrich Kittler sagt.

Es ist ein Verdienst der kleinen, mit enormem Rechercheaufwand erstandenen Ausstellung, die Ambivalenz scheinbar harmloser Erfindungen ganz undramatisch zu dokumentieren. Man nimmt den technischen Dingen unseres täglichen Gebrauchs die Unschuld: Perlon – das ist Damenstrumpf und Fallschirmseide; der Opel- Lastwagen „Blitz“ ermöglicht den „Blitzkrieg“; die Kleinbildkamera „Leica“ verdankt ihre Karriere dem NS-Fotopublizisten Paul Wolff und der Kriegsberichterstattung. Über die Rolle der Reichsbahn bei den Transporten in den Tod braucht hier kein Wort mehr verloren zu werden.

Aber die AusstellungsmacherInnen sind keine Anhänger einer finsteren Ding-Magie, die der Technik und ihren Strukturen selbst die Schuld an dem Verhängnis geben. Indem der Gang der technischen Entwicklung auf die Biographien der Macher zurückbezogen wird, werden die Entscheidungsspielräume deutlich, die von den Betroffenen in ihren Selbstzeugnissen meist geleugnet werden. Man möchte oft noch mehr über sie wissen und bleibt manches Mal auf den hervorragenden Katalog verwiesen.

Wer zwischen den Produkten und den Dokumenten der Macher hin und her schweift, macht eine Reise in die Grauzone der technokratischen Mentalität. Der Kleinbildpionier Paul Wolff, in der Nazizeit erfolgreicher Werbe- und Industriefotograf, der mit seinen Lehrbüchern die Ästhetik der Amateurfotografie prägte, liefert ein Beispiel für die Bewußtlosigkeit im Umgang mit der eigenen Vergangenheit.

Wolff wurde von den Nazis geliebt, weil er den heroischen deutschen Arbeiter-Soldaten so prächtig ins Bild zu setzen verstand. Sein Bildband „Arbeit“ war bildgewordene Arbeitsfront-Ideologie. 1946, auf der Suche nach neuen Karrierechancen, entnahm er seinen Negativbeständen ein unveröffentlichtes Motiv. Er fand einen Abnehmer, und die SPD hatte ein neues Wahlkampfplakat.

Das Plakat, an unauffälliger Stelle präsentiert, ist ein Menetekel der politisch-moralisch-ästhetischen Katastrophe dieses Jahrhunderts, vor dem man lange stehenbleibt. Jörg Lau