„Ich bin so voll und gar nicht leer“

■ Die Theaterwerkstatt Heckeshorn hilft Psychose-Patienten aus ihrer Isolation

Auf der Bühne sitzen zwölf Leute auf Holzstühlen in einem Halbkreis. Eine weißhaarige, alte Frau in einem Hauskleid und beigefarbenem Sommermantel nestelt nervös an einem Taschentuch. Ein schmächtiger Mann mit einer Gitarre springt vom Stuhl auf, läuft in den Zuschauerraum, kehrt auf die Bühne zurück und führt dort einige Karate-Tritte vor, bevor er sich wieder hinsetzt. Eine junge Frau mit hochgesteckten Zöpfen hält einen Teddybären im Arm. Die Nervosität ist den Schauspielern der „Theaterwerkstatt Heckeshorn“ deutlich anzusehen.

Christa Mayer schlüpft für die Proben in die Rolle der Regisseurin und bespricht die Beleuchtung, die Bühnendekoration und die Akustik mit einem Techniker. Eigentlich ist sie Psychologin auf Station achtzehn im Zehlendorfer Theodor-Wenzel-Werk. Station achtzehn heißt in der offiziellen Krankenhaussprache „Arbeit mit mittel- bis langfristigen Psychosepatienten“.

Doch heute sind die Patienten keine betreuungsbedürftigen Kranken, sondern Darsteller auf der Bühne. Seit vier Jahren arbeitet Christa Mayer in dem Theaterprojekt. „Wir standen damals vor der Situation, daß die Gesprächstherapie völlig festgefahren war. Wir mußten etwas Neues finden, um die Leute zu motivieren“, erzählt sie. Also begann sie, mit den Patienten Theater zu spielen. Auf dem Spielplan standen zunächst Märchen, dann Berliner Chansons und Texte aus den zwanziger Jahren und nun, zum ersten Mal, auch von den Patienten geschriebene Gedichte.

„Ein kleines Haus am Ende der Welt“ haben die Schauspieler ihr Stück genannt, in dem sie neben den eigenen Texten Gedichte von Joachim Ringelnatz, Christian Morgenstern, Kurt Schwitters und Ernst Jandl vortragen. „Wir haben auf unserer Station eine Patientin, die kein Wort spricht. Nur das Lied ,Ein kleines Haus am Ende der Welt‘ singt sie immer wieder“, erzählt Christa Mayer. Der Titel des Schlagers wurde als Name des Theaterstücks ausgesucht.

Nachdem die letzten Details besprochen sind, beginnt die Generalprobe. Die Ansage des Stücks muß mehrmals geübt werden, weil sie zu leise ist. Als es dem Patienten beim vierten Mal gut gelingt, applaudieren die anderen spontan. „Früher kannten sich die meisten noch nicht einmal mit Namen. Heute reden sie miteinander und geben sich Anerkennung für ihre Leistungen“, erklärt Mayer die therapeutische Bedeutung der Theatergruppe. „Menschen mit Psychosen ziehen sich häufig in ihre eigene Welt zurück. Durch das Theaterspielen haben sie eine Möglichkeit, aus der Abkapselung herauszukommen“, so Mayer.

„Stimmen, Stimmen, stimmungsvoll / ich bin so voll und gar nicht leer / in meinem kleinen Kopf“ beginnt die junge Frau mit dem Teddybären ein selbstgeschriebenes Gedicht vorzutragen. Schauspieler und Schreiber stimmen nicht immer überein, zum Teil weiß nur die Psychologin, wer welchen Text geschrieben hat. Einige Patienten wollen nicht, daß ihre ganz persönlichen Wahrnehmungen auf sie zurückzuführen sind. Schwierigkeiten bereitet auch die Angst der Patienten, aus einer Rolle nicht mehr zurückzufinden. „Der wichtigste Grundsatz im Psychodrama lautet: Man muß sich vorher klarmachen, daß man sich wieder aus der Rolle verabschieden muß“, erklärt Mayer. Aus Angst, das nicht zu schaffen, hätten sich einige Patienten geweigert, bestimmte Rollen zu spielen.

„Ich hätte gerne jemanden, der mit mir im Café Kranzler Sahnetorte ißt“, wünscht sich am Ende der Aufführung eine Patientin. Begleitung bei Spaziergängen, bei Opernbesuchen, eine Urlaubskarte bekommen – jeder der Schauspieler äußert einen persönlichen Wunsch. Sie alle hoffen, durch die Theateraufführung neue Mitarbeiter für den Laienhelferkreis der Klinik zu gewinnen, die bei der Freizeitgestaltung der Patienten mitwirken. Gesa Schulz

Kontakt für Laienhelfer über Christa Mayer, Tel. 800 22 640