Ratten in einem Käfig aus Kunst

Panik auf engstem Raum: Bruce Nauman im New Yorker Museum of Modern Art  ■ Von Claudia Büttner und Martin Zeyn

Quietschen, Kreischen, Schreien, Dämmerlicht. Wer die Bruce- Nauman-Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art besucht, erwartet keine stille Schau mit Meisterwerken. Naumans Themen sind Gewalt, Zwang, Verdrängung und Ohnmacht. Die paradoxe Wirkung seiner Arbeiten beruht darauf, daß er uns nicht zeigt, wovor wir dennoch zurückschrecken. Die Gewalt findet ihren Ausdruck in Manipulation und Irritation von körperlichen Gleichgewichtszuständen.

Dazu dienen Mobiles und Karussels aus fragmentierten Tierkörperformen (nackten Inletts für Tierpräparate), bei denen abgegossene Gliedmaßen an unpassenden Stellen wie Rücken und Flanken aufgepfropft wurden. Wer diesen entstellten Verweisen auf die entstellte Kreatur zusieht, wie sie an Seilen wie an Metzgerhaken baumeln oder quietschend an endlos kreiselnder Longe mehr über den Boden schleifen, verstrickt sich gleichermaßen in Klage und Anklage.

Da hilft es dem Betrachter kaum etwas, sich den bunten Neonschriften zuzuwenden, die wie Bierreklame freundlich lockend im Halbdunkel der Ausstellungsräume aufleuchten. Auch hier wird er mit dem Bild des Hanging man konfrontiert, dessen Glied sich prall im Tode aufrichtet; verknüpfen die Schriftzüge VIOLINS mit VIOLENCE und SILENCE, gibt es LIVE nicht ohne DIE. Gewalt ist überall. Was aber mag Ausstellungsmacher bewegen, eine Übersicht solcher Arbeiten zu erstellen, von denen eine jede für sich allein genommen schon vollkommen verunsichert?

Eine Retrospektive ist immer zuviel. Auch die vom Walker Art Center eingerichtete Bruce-Nauman-Schau glänzt durch Überfülle. 67 Werke sind es in diesem Fall, Arbeiten aus Beton, Holz, Gummi, in Neon, auf Papier. Die parallel entstandenen Videos aus immerhin dreißig Jahren sind nicht chronologisch, sondern nach einer ganz eigenen, inneren Dramatik geordnet. Nicht Werkphasen und historische Marken sind aneinandergereiht – auch wenn im unteren der zwei Stockwerke durchgehend Arbeiten aus dem ersten Jahrzehnt zu sehen sind –, sondern aufflackerndes Licht, grelle Farben, Bewegung und Geräusch. Sie leiten im alles umfassenden Halbdunkel von einem großzügig, das heißt wenig bestückten Raum zum nächsten. Trotzdem bleibt der Eindruck, als wäre die Masse der Verunsicherungen nicht zu bewältigen. Naumans Arbeiten, die subtil Instinkte wie Fluchtmechanismen ausspielen, werden in der Anhäufung von der eigenen Kraft erdrückt.

Während des Vidoes „Bouncing in the Corner No. 2“ verlassen fast alle Zuschauer nach wenigen Minuten den Raum. Zu sehen ist ein Körper ohne Kopf, der in einer Wippbewegung kontinuierlich gegen eine Ecke schlägt. Nach zwei Minuten ist klar, daß nichts Neues passieren wird. Man kann den Raum verlassen. Nach der gesamten Länge von sechzig Minuten drängt sich allerdings die Assoziation auf, einem hospitalisierten Menschen in einer Gummizelle zugesehen zu haben. Das Gefühl durch die Betrachtung, aber auch das Abwenden, die Qualen noch zu verstärken, bleibt. Der Betrachter sieht sich irgendwo zwischen Voyerismus und Billigung.

Im Bild des Clowns hat Nauman dafür einen Ausdruck gefunden, der sich zu einer Allegorie gesellschaftlich legitimierter Gewalt verdichtet. So besteht eine Installation aus vier Monitoren und zwei Videoinstallationen. In unendlicher, peinigender Wiederholung ist zu sehen, wie ein Clown durch eine Türe auf uns zutritt und einen Wassereimer über den Kopf bekommt, und daneben, wie er ein Wortspiel als Endlosgeschichte hersagt. Zur Linken bleibt der buntgeschminkte Clown selbst in einer engen Klozelle nicht unbeobachtet, und gegenüber liegt er strampelnd und schreiend auf dem Boden und versucht etwas oder jemanden – just dort, wo wir stehen – von sich abzuwehren. Das „No-no- no“-Geschrei des Clowns der Clown Torture (1987) folgt und bedrängt einen durch die ganze Ausstellung.

Angezogen von Neugier, abgestoßen durch die Bloßstellung des Gequälten lockt Nauman seine Betrachter in die Falle der aus dem Lot geratenden eigenen Befindlichkeit. Er scheint damit zu spielen, scheint sie in sonderbar unprätentiösen Versuchsanordnungen auszutesten. Finden wir uns wieder, erschrecken, fliehen wir?

Nauman hegt ein Mißtrauen gegen das Abbild, das sich formal ausdrückt. Keine Installation, die perfekt wäre. Rohe Eisenträger, Abgußspuren, offene Kabel, grobes Holz mit Draht festgezogen. Kein schöner Schein, kein perfektes Etwas, keine Flucht ins Absolute. Seine frühen Arbeiten, den Fotos und Filmen John Baldessaris vergleichbar, zeugten von der Befragung der eigenen Umgebung, der Selbstvergewisserung: „You sit in a chair and pace around. And then the question goes back to what is art? And art is what an artist does, just sitting around in the studio.“ Sein Umgang mit dem Material und die Art, wie er damit Empfindungen auslöst, hat viele Künstler nach ihm geprägt. Einzelne Ideen und Herangehensweisen wie das Ausgießen der Negativform unter einem Stuhl von 1968 wurden durch Rachel Whiteread in den neunziger Jahren bis zur spektakulären Größe von House (1993) in London erweitert.

Künstlern wie Tony Oursler gelang es sogar, Einzelmotive aus Naumans Arbeit, wie etwa den mimischen Ausdruck der Qual, in eigenen Videoinstallationen zu isolieren, zu bearbeiten und zu ganz eigener Wirkung zu verdichten. Er folgte damit Naumans Prinzip der direkten Arbeit am Rezipienten, an dessen Befinden und Empfinden. Nur arbeitet Nauman weniger offenkundig.

Naumans harmlos erscheinenden Räume und Korridore (aus den frühen siebziger Jahren), gelb illuminiert oder klar und weiß, scheinen zunächst keine Gefahren, weder Angst noch Terror, zu bergen. Aber kurz nach dem Betreten wird bereits klar, daß Nauman nicht des Schreckens des Bildes bedarf. Die Klaustrophobie geht vom Ort selbst aus: Wir fliehen den grellen Yellow Room, von dem sogar der Künstler sagt: „The Room is very hard to stay inside of – I can't stay very long myself.“ Und es dauert lange, bis wir verstehen, was genau passiert, wenn wir in einem der drei zugängigen, der Nick-Wilder- Installation, zu der insgesamt sechs enge Flurgänge gehören, auf zwei Monitore zugehen, auf dem wir einerseits den leeren Gang, andrerseits uns selbst von hinten sehen können, während wir in unserer Annäherung an die Bildquelle kleiner und kleiner werden. Über Closed-circuit-Kameras, die hoch über dem Eingang angebracht sind, werden die Besucher gefilmt. Ebenso vor dem Gang, so daß das eigene Bild auf dem Monitor im nächsten Korridor erscheint. Immer, wenn wir uns aufs spiegelnde Abbild zubewegen, um es zu betrachten, verschwinden wir aus dem Blickwinkel der Kamera und damit vom Monitor. Wie viele andere Werke ist diese Arbeit von 1970 nur eines der in New York gezeigten Beispiele für eine ganze Reihe von Variationen. In allen Closed-circuit-Installationen sind es die Betrachter, deren Wahrnehmung Nauman solange hinterfragt, bis der Verlust der Sinne bedrohlich wird.

Dadurch verändert sich vor allem auch die Position des Betrachers: Er wird zum Bestandteil einer Versuchsanordnung. Es sind Versuche über Verhaltensweisen, die aus Situationen entstehen, in denen man unter Kontrolle, Zwang oder Bedrängnis steht – aber immer wieder beginnen diese Exerzitien mit dem freiwilligen Eintritt, der Neugier und einer vielleicht mutwilligen Unterordnung des Betrachters unter die Kunstinstallation. Nauman testet dies nicht nur mit Videos und Raumsituationen, sondern konfrontiert den Besucher ständig mit Imperativen in Neon oder als mündliche Aufforderung: „Get out of my mind, get out of this room.“ Und wieder die Frage: Tun wir es? Folgen wir?

Wir tun es. Die Teilhabe an Naumans bösem Spiel mit der Verführungskraft der Autorität beginnt ja bereits mit dem Betreten der Ausstellung. Keiner jedoch, der hier unbeeindruckt herauskommt, dem nicht die Bilder und Töne als Schrecken im Kopf herumspuken. Immerhin gibt es noch einen Ausgang – anders als für die Ratten, die in den Plexiglasgängen, zwangsbeschallt von Schlagzeugwirbeln, hilflos hin- und herrennen. Die Installation Learned Helplessness in Rats, 1988, die außer dem Schlagzeuger (auf einem Monitor) nur die Videoaufnahmen der gefilmten Tiere und die bis auf Kotreste leeren Gänge präsentiert, läßt einen vielleicht spüren, wie knapp man dem Belastungstest entkommen ist.

Auf dem Weg zum Ausgang des Museums of Modern Art muß man noch an einigen abstrakten Gemälden der Moderne vorbei. Nach der Nauman-Schau wirken sie leer.

Bruce Nauman bis 23. 5. im MoMA. Anschließend wird die Ausstellung ab 14. 7. im Kunsthaus Zürich gezeigt. Der Katalog kostet 35 Dollar, der zur Zeit vergriffene, gebundene Catalogue Raisonné 110 Dollar.