■ Die neue Enzyklika und die Todesstrafe
: Nicht nur auf die Abtreibung fixieren

Daß sich dieser Papst auf seine alten Tage nicht mehr zu einer Umkehr in Sachen Empfängnis und Abtreibung bequemen würde, war vorauszusehen. Daß er Sterbehilfe ablehnt und Experimente am Embryo, war ebenfalls zu erwarten. So kommt es wohl, daß ihn seine Gegner auch diesmal wieder fast unbesehen ins alte Eck stellen. Dieser Papst, so das Dogma, ist unbelehrbar, ultrareaktionär, inhuman. Unter den Tisch fällt dabei aber nun auch jener Teil der neuen Enzyklika, den es lohnt, sich anzuschauen: der über die Todesstrafe. Liest man die ersten Kommentare, so hat dieser Papst, der doch so unbedingt für alles Leben eintritt, erneut die Tötung von Staats wegen gutgeheißen. Der Widerspruch, den man ihm so gerne um die Ohren gehauen hat (zu Recht), wäre damit geblieben.

Tatsächlich ist aus der Enzyklika nur sehr schwer eine Verteidigung der Todesstrafe herauszulesen. Statt dessen wird eine Frontbegradigung erkennbar, die zweifellos eine Abkehr von der früher propagierten Linie anzeigt. Die einschlägigen Sätze der Enzyklika lauten: „Die öffentliche Autorität muß die Verletzung der Rechte des einzelnen und der Gemeinschaft dadurch wiedergutmachen, daß sie dem Schuldigen als Vorbedingung für seine Wiederentlassung in die Freiheit eine angemessene Sühne für das Vergehen auferlegt ... Um diese Ziele zu erreichen, müssen Ausmaß und Art der Strafe sorgfältig abgeschätzt und festgelegt werden und dürfen außer in schwerwiegenden Fällen, das heißt, wenn der Schutz der Gesellschaft nicht anders möglich sein sollte, nicht bis zum Äußersten, nämlich der Verhängung der Todesstrafe gehen. Solche Fälle sind jedoch heutzutage infolge der immer angepaßteren Organisation des Strafwesens schon sehr selten oder praktisch überhaupt nicht mehr gegeben.“

Die Wendung „solche Fälle“ kann nur bedeuten: Es gibt heute immer weniger, vielleicht sogar überhaupt keine Anlässe mehr, die die Todesstrafe rechtfertigen. Tatsächlich waren nach der Vorstellung des Textes die vor dem Pressesaal des Heiligen Stuhls aufgezogenen Todesstrafengegner am Ende auch hochzufrieden mit dieser Deutung, die Kardinal Ratzinger noch einmal persönlich bestätigte.

Eine Frontbegradigung, die möglicherweise gar nicht unbedingt höherer Einsicht entspringt, sondern offenbar genau jenen Widerspruch beseitigen soll, der dem Papst bei seinem Feldzug gegen Abtreibung so zu schaffen machte. Für eine taktische Natur der neuen Formulierung sprechen auch die Sätze, die unmittelbar auf dem Todesstrafenabschnitt folgen: „Wenn auf die Achtung jeden Lebens, sogar des Schuldigen und des ungerechten Angreifers, so große Aufmerksamkeit verwendet wird, hat das Gebot ,Du sollst nicht töten‘ absoluten Wert, wenn es sich auf den unschuldigen Menschen bezieht.“

Die taktische Natur dieser Wende mag alte Wojtyla-Gegner in ihrem Urteil über diesen Papst bestätigen. Nicht vergessen sollten wir aber, daß möglicherweise schon bald ein neuer Papst gewählt wird. Die Modifikation der bisherigen Haltung kann als Zeichen gesehen werden, daß auch päpstliche Leitsätze irgendwann verändert werden müssen. Werner Raith