„Keine Erwartungen schüren“

■ Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger zu den Chancen, den Neonazi Garry Lauck vor ein deutsches Gericht zu stellen

Vergangene Woche wurde der Propagandachef der NSDAP-AO in Dänemark verhaftet. In der Bundesrepublik liegt ein Haftbefehl gegen ihn vor, doch seine Auslieferung ist höchst ungewiß.

taz: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, wann erwarten Sie Gary Lauck in der Bundesrepublik?

Leutheusser-Schnarrenberger: Das kann ich nicht definitiv beantworten. Auf unser Auslieferungsersuchen haben wir noch keine Antwort aus Dänemark bekommen. Ich kann nicht einschätzen, ob er überhaupt ausgeliefert wird. Ich möchte auch keine Erwartungen wecken, wenn ich unsicher bin, daß sie erfüllt werden können.

Ihre Kollegen von der Hamburger Staatsanwaltschaft sehen ihn bereits nächste Woche hier.

Ich kann nicht euphorisch sein, weil ich immer im Hinterkopf habe, wie Dänemark in anderen Fällen entschieden hat. Wenn das diesmal anders ist, bin ich froh, weil wir dann in der Lage wären, einmal ein Verfahren durchzuführen.

Ist es schon ein Erfolg, daß Lauck festgenommen wurde?

Das ist ein Fortschritt, der zeigt, wie ernst Dänemark die Dinge sieht. Aber bei der eigentlichen Auslieferung sind die Maschen sehr viel enger. Da müssen die dortigen Behörden prüfen, ob sie Lauck auf der Grundlage ihres geltenden Rechts ausliefern können. Ein dänisches Gesetz existiert aber bislang noch nicht, das unserem Paragraphen der Volksverhetzung entspricht. Dies ist derzeit in der Diskussion. Und wir dürfen nicht vergessen, daß Dänemark vor Jahren den Altnazi Thies Christophersen nicht ausgeliefert hat. Im Zweifel wurde bisher gegenüber der Bestrafung rassistischer Propaganda immer der Meinungsfreiheit der Vorrang gegeben. Aber die Dänen werden zügig zu einer Entscheidung kommen, da bin ich sicher.

Warum ist es so wichtig, Lauck vor ein deutsches Gericht zu stellen, man kann ihm doch nicht nachweisen, daß seine NS-Propaganda unmittelbar zu Taten geführt hat?

Wir bestrafen diejenigen, die solches Propagandamaterial herstellen und verbreiten. Dazu gehört, auch wenn es über das Ausland zu uns in die Bundesrepublik kommt.

Würde Gary Lauck ausgeliefert, wäre das vielleicht ein Erfolg. Aber dann würden statt seiner andere Neonazis dafür sorgen, daß das Propagandamaterial nach Deutschland käme.

Es ist wichtig, daß wir bei begründeten Verdachtsmomenten allem nachgehen. Wir können nichts auslassen, weil wir dann im Endeffekt ja den Kreisen, die für solche Propaganda empfänglich sind, noch helfen würden, diese zu verbreiten. Und der NS-Kampfruf ist ja nicht ein harmloses Blättchen. Wir müssen an die Verantwortlichen herankommen und nicht nur die Auswirkungen bekämpfen, also solches Material in großen Aktionen zu beschlagnahmen. Das reicht nicht.

Sie appellieren seit langem an andere Staaten, ihre Gesetze so zu ändern, damit die Auslieferung von Neonazis leichter geht. Sozialisieren wir so nicht ein innerdeutsches Problem?

Ich habe das bei meinen europäischen Kollegen angesprochen. Wir müssen zusammenarbeiten. Aber zur ganzheitlichen Betrachtung gehören auch präventive Maßnahmen. Und das fällt nicht mehr in den Bereich der Justizminister. Auch an den Schulen in den europäischen Ländern sind Aufklärung und Prävention wichtig. Denn überall gibt es Menschen, die sehr empfänglich sind für dieses Gedankengut. Im zusammenwachsenden Europa müssen wir grenzüberschreitend arbeiten.

Im Hinblick auf den 8. Mai zeigen wir, wie schwer es uns fällt, gemeinsam mit den überfallenen Ländern der Befreiung vom Nationalsozialismus zu gedenken. Andererseits fordern wir sie auf, uns massiv bei der Bewältigung des Neonazismus zu unterstützen, uns nicht alleine zu lassen.

Ich verknüpfe den 50. Jahrestag nicht mit der Frage, wie man gegen neonazistische Tendenzen vorgehen kann, weil eins klar ist: Wir in der Bunderegierung wollen nicht unsere Verantwortung wegschieben. Alle Europäer gemeinsam müssen solchen Tendenzen vorbeugen – unabhängig von aktuellen Ereignissen. Das Gespräch führte

Annette Rogalla