■ Wolfgang Sachs, Mitarbeiter des Wuppertal Instituts, diskutiert mit Gunter Zimmermeyer, Vorstandsmitglied im Verband der Automobilindustrie
: Auf der Überholspur in den Klimastau

taz: Herr Sachs, Sie sprechen von „Entschleunigung“ und vergleichen den Autoverkehr mit dem Versuch, Butter mit der Kreissäge zu zerschneiden. Wie wollen Sie das ändern?

Wolfgang Sachs: Ich denke, wir müssen uns überlegen, ob es auf längere Sicht nicht sinnvoll wäre, Geschwindigkeitsniveaus in unserer Gesellschaft zurückzuführen. Mal andersherum ausgedrückt: Ein ökologisches Auto ist für mich nur eines, das geschwindigkeitsbeschränkt ist und Spitzengeschwindigkeiten von – sagen wir mal – 100 Stundenkilometern nicht überschreiten kann und seinen optimalen Wirkungsgrad irgendwo zwischen 30 und 40 Stundenkilometern hat. Heute werden dagegen vielfach „Öko-Autos“ angeboten oder diskutiert, deren Leistung gar nicht weit von unseren Renn-Reiselimousinen entfernt ist.

Herr Zimmermeyer, was halten Sie von dem Begriff „Entschleunigung“?

Gunter Zimmermeyer: Er ist, wie viele ökologische Begriffe, gut gewählt. Denn er erweckt Sympathie und verspricht Harmonie. Entschleunigung lieben wir alle, wenn wir es uns leisten können. Wenn es mir gelingt, daß ich abends meinen Feierabend genießen kann, lege ich auch am liebsten die Beine hoch und entspanne. Also auch ich versuche, mich zu entschleunigen. Diese Situation kann ich mir aber nur leisten, weil ich tagsüber gearbeitet, also beschleunigt habe. Also: Es gelingt schon dem einzelnen nicht, ständig zu „entschleunigen“, wenn er nie „beschleunigt“. Es gelingt aber schon gar nicht der Menschheit insgesamt. Denn die Notwendigkeiten bestehen darin, die Menschheit zu versorgen mit lebensnotwendigen Gütern – das bedeutet Mobilität –, Probleme zu lösen, die existentiell sind, nämlich für Entspannung zu sorgen, zwischen Nord und Süd, auch innerhalb Europas – auch das bedeutet Mobilität. All diese Riesenaufgaben gelingen leider Gottes nicht mit dem Begriff Entschleunigung.

Sachs: Lassen Sie mich mal eine Ihrer Vermutungen in Frage stellen – und zwar die, daß man Beschleunigung bräuchte für alle möglichen guten Ziele. Ich würde gerne die seitenverkehrte These ausprobieren: Führt nicht Beschleunigung zur Polarisierung? Wir sehen viele Ungleichgewichte in unserer Gesellschaft, die gerade verursacht sind durch Beschleunigung. Diejenigen, denen es bei uns schlechter geht, sind häufig auch Beschleunigungs-Invaliden, eingeschlossen übrigens die Natur. Es stimmt ja selbst für unsere automobilisierte Gesellschaft, daß bestenfalls eine gewisse Automobilität der einen Hälfte der Bevölkerung zugenommen hat.

Aber die Lebensbedingungen der anderen Hälfte, die keinen Zugang zum Auto haben – ich spreche von allen unter achtzehn, von Einkommensschwächeren, von Frauen, die oft keinen Zugang zum Auto haben –, ihre Lebensbedingungen haben sich durch die motorisierte Beschleunigung der anderen verschlechtert.

Also haben wir in den letzten zwanzig, dreißig Jahren auf der einen Seite eine Explosion von Mobilitiät, und auf der anderen Seite hat die Immobilität zugenommen.

Zimmermeyer: Gerade Ihre These zeigt doch umgekehrt, daß es denjenigen, die „beschleunigen“ können, offenbar besser geht. Wie wollen Sie ihnen Beschleunigung wegnehmen, um zu einem sozialen Ausgleich zu kommen. Gönnen Sie doch lieber den Benachteiligten einen Teil des Gewinns durch die „Beschleuniger“. Und denken Sie daran: Unser menschliches Leben, Natur überhaupt, ist seit jeher geprägt vom Konkurrenzkampf. Der Konkurrenzkampf bedingt, daß einer schneller sein will und muß als der andere. Wir können noch so sozial denken und soziale Ziele haben – wir werden es leider Gottes nie schaffen, dieses soziale Moment im Menschen so zu verfestigen, daß jeder sich so verhält. Ein Beispiel: Da ist ein Buffet aufgebaut, und selbst Leute, die im Prinzip satt sind, beeilen sich und drängen danach, früh an das Buffet zu kommen. Denn es könnte ja sein, daß bestimmte Leckerbissen dann nicht mehr vorhanden sind. Sie sehen, sogar in einer „satten Gesellschaft“ werden Sie es nie schaffen, einen Konkurrenzkampf zu vermeiden. Und heißt eben auch: Sie müsen schnell sein, im Zweifelsfall schneller sein als der andere – deswegen brauchen Sie Beschleunigung.

Sachs: Ich will mich mal auf diese Voraussetzung einlassen, daß Wettkampf zur Natur des Menschen gehört. Ich teile diese Voraussetzung überhaupt nicht, aber wenn das so stimmt: Wäre die gegenwärtige ökologische Krise nicht der geeignete Moment, wenigstens die Mittel für diesen Wettkampf zu entschärfen? Sollten wir wir nicht darauf sinnen, nicht mehr alle Mittel für den Wettkampf einzusetzen? Das könnte – selbst unter Wettkampfbedingungen – für die allermeisten Entlastungen bringen.

Zimmermeyer: Ihr philosophischer Ansatz in Ehren, er gleicht ja der christlichen Sozialethik ...

Sachs: Ist das ein Vorwurf?

Zimmermeyer: Nein, keineswegs. Die Menschheit hat gewaltige Sprünge durch das Christentum gemacht. Nur: Wir haben in unserer Gesellschaft ein ganz komplexes System des Zusammenlebens, in dem jeder seine Chancen nutzen soll. Mit Entschleunigen wollen Sie alle gleich machen. Das gelingt Ihnen durch kein Gesetz – und freiwillig schon gar nicht, weil immer einer ausbricht. Und dann noch die internationale Lage: Sehen Sie nur die Diskussion zum Standort Deutschland, der Wettbewerbskampf ist einfach da, zwischen Nationen und Wirtschaftsblöcken. Und die Voraussetzungen dazu sind vollkommen unterschiedlich. Wenn Sie heute zum Beispiel die Lohnkosten nehmen – die unterscheiden sich selbst in Europa um bis zu vierzig Prozent. Was wir in Deutschland produzieren, ist also um vierzig Prozent teurer, muß aber wettbewerbsfähig sein, sonst verlieren wir unsere Arbeitsplätze. Da sehen wir: Wir können uns Langsamkeit nicht leisten. Wir müssen Innovationen schaffen, müssen den Markt abtasten – nur dann haben wir Chancen im Wettbewerb.

Sachs: Ich will auch diese These vom Wettbewerb noch mal akzeptieren. Wie würden denn Ihre relativen Vorteile gegenüber ihren Konkurrenten geschmälert, wenn – lassen Sie uns mal phantasieren –, wenn im Jahr 2005 eine Klimakonferenz unter Kooperation der Automobilindustrie eine Geschwindigkeits-Abrüstung der Autos beschließt? Sobald so was weltweit gilt, ist doch keines Ihrer Konkurrenzargumente beeinträchtigt. Und auch ihr Wettbewerbsvorteil geht nicht verloren.

Zimmermeyer: Doch. Wenn wir weltweit die gleichen Produkte anbieten, ist der Standort Deutschland verloren. Wenn wir alle das gleiche entschleunigte Produkt anbieten, sind wir wegen unserer nachteiligen Kostenfaktoren eindeutig und hoffnungslos im Hintertreffen.

Sachs: Aber damit sagen Sie doch: Wir können nur hochgezüchtete Tempomobile und keine guten 100-Stundenkilometer-Autos bauen.

Zimmermeyer: Natürlich können wir auch das. Doch die kleineren Fahrzeuge, die nicht so viele Innovationen bieten, sind im Markt schlechter dran als die von uns gebrachten, neuen, innovativen Produkte. Und das ist unsere einzige Chance.

Müssen Innovationen an hohe Geschwindigkeiten gekoppelt sein?

Zimmermeyer: Nein, ich spreche vom technologischen Fortschritt ganz allgemein. Dabei sind hohe Geschwindigkeiten und Beschleunigung nur ein Punkt, daneben sind es Sicherheit, Komfort, Bequemlichkeit. Ich räume allerdings ein, daß im Markt das Thema Beschleunigung und Geschwindigkeit eine große Rolle spielt.

Sachs: Ich will mich ja nicht wiederholen, aber was ich vorschlage, ist ja, daß die Anforderung Geschwindigkeit durch Übereinkunft der Gesellschaft gesenkt wird. Damit gäbe es eine andere Vorgabe für die Automobilbauer, in der sich all die anderen Anforderungen einbetten lassen.

Zimmermeyer: Ich halte es schlichtweg nicht für vorstellbar, daß es ein gesellschaftspolitisch notwendiges Ziel ist, die Mobilität, die Geschwindigkeit herabzusetzen. Schon gar nicht vor dem Hintergrund, daß andere Regionen und andere Gesellschaften dieses nicht tun und daß wir uns damit einen weiteren Standortnachteil einhandeln, den wir durch nichts mehr aufholen können.

Halten Sie es nicht für durchsetzbar oder nicht für wünschenswert?

Zimmermeyer: Ich halte es weder für wünschenswert noch für durchsetzbar. So sympathisch es klingt: Es bleibt immer ein wesentliches Moment: Daß wir unsere Wettbewerbsvorsprünge, die auch was zu tun haben mit Komfort, Sicherheit, Schnelligkeit und der Kraft eines Automobils, daß wir diese Wettbewerbsvorteile nicht ohne weiteres aus der Hand geben dürfen.

Sachs: Ich finde es nützlich festzuhalten, daß Ihre Gegenüberlegung nur auf den Hinweis hinausläuft, daß Wettbewerbsvorteile geschwächt würden. Das finde ich ein so dramatisch schwaches Argument, daß ich zufrieden bin, daß Sie an diesem Punkt angelangt sind. Ein dramatisch schwaches Argument, weil es zeigt, wie wenig der Kampf um Wettbewerbsvorteile mit dem Wohlergehen von Bürgern zu tun hat.

Zimmermeyer: Jemand, der keine Verantwortung für Arbeitsplätze trägt und dessen Lebensunterhalt von einer Gesellschaft finanziert wird, in der noch genug Menschen produktiv tätig sind, also beschleunigen, kann so etwas sehr leicht sagen. Jemand, der Verantwortung für Arbeitsplätze hat, wird das ganz anders sehen. Also, wenn jetzt ein Betriebsrat eines Automobilunternehmens hier mit Ihnen zusammensäße, würde der jetzt wahrscheinlich die Ärmel hochkrempeln. Moderation: Felix Berth