Tricks gegen den Gutachter

Düsseldorfer Dioxin-Untersuchungsausschuß beantragt „Erzwingungshaft“ gegen kritischen Dioxinexperten / Sogar die Grünen stimmen zu  ■ Von Walter Jakobs

Düsseldorf (taz) – Winfried Karmaus, Arzt und Dioxin-Experte vom Hamburger Nordig-Institut, hat die Düsseldorfer Landesminister Klaus Matthiesen (Umwelt) und Franz Müntefering (Gesundheit) bis aufs Blut gereizt. Vor dem Düsseldorfer Dioxin-Untersuchungsausschuß, der den Dioxinskandal im Dortmunder Krupp-Hoesch-Stahlwerk aufzuklären versucht, sagte Karmaus: „Ich weiß von Institutsleitern in NRW, daß bei der Vergabe von Aufträgen, bei der Anschaffung von Geräten und bei der Abfassung von Berichten Pressionen ausgeübt werden.“ Die beiden Minister warfen dem Gutachter daraufhin Verleumdung vor.

Tatsächlich gibt es inzwischen massive Hinweise auf „Pressionen“. Selbst die Leiterin des Dortmunder Gesundheitsamtes, Anette Düsterhaus, sagt, sie habe nach Bekanntwerden der extrem hohen Dortmunder Dioxinwerte in Gesprächen mit dem Referatsleiter Helmut Weber aus dem Gesundheitministerium das „Gefühl“ gehabt, auf „mich als Leiterin des Dortmunder Gesundheitsamtes solle Druck ausgeübt werden“. So habe Weber erwartet, „daß wir auch eindeutig sagen, es bestehe keine chronische Gesundheitsgefahr“. Aus gutem Grund sah sich die Ärztin dazu „außerstande“.

Zwar behauptet auch Umweltminister Matthiesen: „Alle Untersuchungen im Zusammenhang mit den Dioxinemissionen Krupp- Hoesch [...] schließen eine Gesundheitsgefährdung der Dortmunder Bevölkerung jetzt und für die Zukunft aus.“ Aber selbst der mit den Dortmunder Untersuchungen beauftragte Professor Fidelis Selenka schätzte im Ausschuß die chronischen Schädigungen durch Dioxin weitaus vorsichtiger ein. Selenka wörtlich: „Ich kann nicht ausschließen, daß die Forschungen, die zur Zeit von sehr vielen Arbeitsgruppen durchgeführt werden, weitere Effekte zutage bringen.“

Chronische Schäden ausschließen, das kann nur Matthiesen, der in den letzten Tagen erneut als Dioxinvertuscher – diesmal in Duisburg – aufgeflogen ist. Fast zwei Jahre lang hat Matthiesen den Kleingärtnern im Duisburger Süden weit über den Richtwerten liegende Dioxinmeßergebnisse von Gartenböden und Gemüsen vorenthalten. Erst im Juni 1992, fast zwei Jahre nach der ersten Untersuchung, teilte Matthiesen Ergebnisse der dritten Messung öffentlich mit. Gleichzeitig erging die Empfehlung, auf Anbau und Verzehr von Blattgemüsen zu verzichten. Die zum Teil noch höher liegenden Ergebnisse der ersten beiden Messungen verschwieg er dabei den Duisburger Bürgern ebenso wie dem Landtagsabgeordneten der Düsseldorfer Grünen, Gerd Mai, der in einer kleinen Anfrage am 21. August 1992 vergebens um Aufklärung nachsuchte. Selbstredend bestand auch in Duisburg laut Matthiesen „zu keinem Zeitpunkt eine Gesundheitsgefährdung“.

Wer gegen diese Verharmlosungspolitik das Wort erhebt, muß mit Druck aus Düsseldorf rechnen. Weil Winfried Karmaus sich weigert, die Namen der beiden Institutsleiter zu nennen, lassen sich seine Behauptungen in diesen Fällen nicht verifizieren. Doch das Schweigen will der Düsseldorfer Ausschuß nicht hinnehmen. Nach der SPD wollen nun auch die anderen Parteien den kritischen Wissenschaftler per Gerichtsbeschluß zum Reden zwingen und fordern Maßnahmen gegen Karmaus – selbst die Grünen, auf deren Betreiben hin der kritische Wissenschaftler als Gutachter für den Ausschuß tätig wurde. Die Grünen-Fraktionssprecherin Bärbel Höhn stimmte vor ein paar Tagen einem Antrag der FDP ans Amtsgericht zu, das Gericht möge doch gegen Karmaus ein „empfindliches Ordungsgeld“ oder „Erzwingungshaft“ verfügen. Beugehaft, um den eigenen Gutachter zum Vertrauensbruch zu zwingen? Diese oppositionelle Kapriole rechtfertigt Höhn so: Sie habe zwar „hin und her überlegt“ und „erhebliche Gewissensbisse“ verspürt, aber „sonst wäre sofort der Vorwurf gekommen, wir sind an einer Aufklärung nicht interessiert“. Glücklich die Regierung, die es mit einer solchen Opposition zu tun hat!

Beistand erhofft sich Karmaus jetzt vom Bundesverfassungsgericht. Dabei pocht er auf seine ärztliche Schweigepflicht, die, so argumentiert der Arzt in der Verfassungsbeschwerde, „über die persönlichen Gesundheitsdaten eines einzelnen Menschen hinaus auch auf umweltmedizinische Sachverhalte anzuwenden“ sei. Als Umweltmediziner sei er auch auf vertrauliche Informationen angewiesen. Durch eine Preisgabe der Namen sieht er deshalb seine künftige Berufsausübung „außerordentlich erschwert“.