„Leistung muß sich für kleine Leute lohnen“

■ Ingrid Matthäus-Maier, SPD-Finanzexpertin, findet die grünen Vorschläge unsolide

taz: Kann man heute überhaupt noch Steuerlasten umschichten?

Ingrid Matthäus-Maier: Bei der Entlastung, die 1996 ansteht, kann es nicht nur um Umschichtung gehen. Es muß auch steuerliche Nettosenkungen geben. Das ergibt sich schon aus der Verpflichtung, das Existenzminimum freizustellen und aus den heimlichen Steuererhöhungen, die wegen der Inflation einerseits und der Progressionswirkung nominal gestiegener Einkommen andererseits entstehen. Entsprechend muß man den Steuerzahler von Zeit zu Zeit entlasten. Außerdem gibt es natürlich Umschichtungsmöglichkeiten. Ich darf darauf hinweisen, daß das Konzept der SPD – 250 Mark Kindergeld vom ersten Kind an – ein klassisches Umschichtungsmodell ist. Wir ersetzen den Kinderfreibetrag, wir kappen den Vorteil aus dem Ehegattensplitting. Zusammen ergibt das die Möglichkeit, 250 Mark Kindergeld zu bezahlen.

Finanzminister Waigel sieht ein Existenzminimum von nur 12.000 Mark vor.

Das ist unzureichend. Das Karlsruher Gericht hat schon für 1992 berechnet, daß das Existenzminimum zwischen 12.000 und 14.000 Mark liegt. Jetzt geht es um 1996. Das heißt, Waigel steht nicht auf der sicheren Seite. Die SPD sagt deshalb, der Grundfreibetrag muß für Alleinstehende bei 13.000, für Verheiratete bei 26.000 Mark liegen. Zum zweiten plant Waigel schon bei zu versteuernden Einkommen von 15.000 beziehungsweise 30.000 Mark einen persönlichen Spitzensteuersatz von 29 Prozent. Dies ist nun wirklich leistungsfeindlich. Der Satz, Leistung muß sich lohnen, ist richtig. Nur, muß sich Leistung immer erst dann lohnen, wenn man 240.000 Mark im Jahr verdient? Nein. Leistung muß sich auch für die kleinen Leute lohnen. Und für sie ist dieser Steuersatz natürlich kein Leistungsanreiz. Zum dritten ist der Waigelsche Tarif sozialpolitisch völlig ungerecht. Er sieht bei Spitzeneinkommen, die bei Verheirateten oberhalb von 240.000 Mark liegen, eine sechsmal so hohe Entlastung vor, wie bei einem Durchschnittseinkommen von 80.000 Mark. Die steuerliche Entlastung für Spitzenverdiener beträgt bei Waigel gegenüber heute 1.334 Mark. Verheiratete, die 80.000 Mark im Jahr verdienen, sparen dagegen nur 224 Mark. Diese Bevorzugung der Spitzenverdiener ist völlig uneinsichtig.

Die Bündnisgrünen haben ein ganz anderes Modell vorgestellt. Sie wollen ein Kindergeld von 300 Mark pro Kind und ein Existenzminimum von 14.000 Mark einführen.

Es wundert mich, daß Sie sagen, es wäre ein ganz anderes Modell. Der Unterschied zu uns besteht ausschließlich darin, daß die Grünen 14.000 Mark als Grundfreibetrag vorschlagen, und ein einheitliches Kindergeld in Höhe von 300 Mark. Die Grünen übernehmen also zwei wichtige Punkte aus dem SPD-Modell. Nur schlagen sie noch ein Sahnehäubchen drauf. Wie sie das bezahlen wollen, sagen sie nicht.

Sie wollen das Ehegattensplitting begrenzen, den Kinderfreibetrag streichen und den niedrigsten Steuersatz auf 25 Prozent anheben. Dadurch sollen 67 Milliarden hereinkommen.

Ich habe mich x-mal mit diesem Thema beschäftigt, und diese Summen holen die Grünen nicht rein. Außerdem halte ich einen Eingangssteuersatz von 25 Prozent für höher als wünschenswert. Abgesehen von diesem Zuschlag ist es das gleiche Modell wie das der SPD. Es gibt Stimmen bei uns, die sagen, das haben die Grünen abgeschrieben. Doch das sehe ich anders. Wenn jemand was von uns übernimmt, dann juble ich, weil ich mich durchgesetzt habe. Was die Grünen jetzt vorstellen, sind SPD- Forderungen, auf die sie etwas draufsatteln. Nach meinen jahrelangen Erfahrungen und Berechnungen ist genau das nicht finanzierbar und nicht solide.

Dann können Sie mit den Grünen darüber doch gut diskutieren?

Ja, selbstverständlich. Unsere Vorstellungen sind ja bis auf die Höhe der Beträge von Existenzminimum und Kindergeld identisch. Es geht allein um die Frage, ob das, was die Grünen fordern, heute zu finanzieren ist. Und das sehe ich nicht. Ich nehme für uns in Anspruch, daß wir das solidere Modell haben. Fragen: Karin Flothmann