„Das hier ist fast schon erschreckend normal“

■ Bündnisgrüne tingeln durch Sachsen-Anhalt, studieren in Magdeburg die unstabile rot-grüne Mehrheit und entdecken in der ortsansässigen PDS Reformer

Magdeburg (taz) – Wie es sich denn regieren läßt ohne eine stabile Mehrheit, das wollte die bündnisgrüne Bundesspitze sich vor Ort einmal ganz genau anschauen. Zwei Tage lang tingelte der „Wohlfahrtsausschuß“, ein Koordinierungsgremium der geschäftsführenden Vorstände von Bundestagsfraktion und Bundespartei, durch Sachsen-Anhalt. Und Bundesvorstandssprecher Jürgen Trittin konstatierte nach einem fast zweistündigen Gespräch mit dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Reinhard Höppner, der bündnisgrünen Umweltministerin Heidrun Heidecke und dem bündnisgrünen Fraktionschef Hans-Jochen Tschiche, daß „das, was in Bonn gern als Schreckensbild an die Wand gemalt wird, sich in der täglichen Politik als schon fast erschreckend normal herausstellt“.

Dennoch sei die Koalition in Sachsen-Anhalt „eine singuläre Situation“, findet der Sprecher der bündnisgrünen Bundestagsfraktion, Joschka Fischer. Für seine Partei stelle sich in den anderen neuen Ländern die Koalitionsfrage derzeit nicht. Sorgfältig vermieden Fischer und Trittin klare Aussagen über das künftige Verhältnis ihrer Partei zur PDS. Zuvor müsse erst einmal die PDS für sich selbst klären, was sie wolle und welchen politischen Weg sie einschlage. „Wenn sie aus der KPD- Tradition heraus den Weg zurück zur SPD findet, ist das zu begrüßen“, so Joschka Fischer. „Wenn die PDS aber unter dem Deckmäntelchen der Sozialdemokratisierung ihren alten Weg als Kaderpartei fortführen will, sehe ich keine Basis für eine Zusammenarbeit.“

Ein Modell wie in Sachsen-Anhalt sei vorerst nur dort denkbar, finden die Bündnisgrünen. Denn die PDS-Fraktion im Magdeburger Landtag bestehe nahezu ausschließlich aus Parteireformern, während in den anderen Ländern und insbesondere in Berlin der Flügel der alten Betonköpfe noch viel zuviel Macht habe. „Wenn sich aber überall in der PDS die Reformkräfte durchsetzen, muß das auch ein klares Bekenntnis für einen Abschied von SED- und Stasi- Vergangenheit bedeuten“, sagte Fischer.

Erstaunt stellte er fest, daß in Sachsen-Anhalt auch andere Mehrheiten möglich sind als die von rot-grüner Koalition und PDS. „Für mich ist es völlig neu zu hören, daß die CDU-Fraktion im Magdeburger Landtag bereits mehrfach PDS-Anträgen gegen die Minderheitskoalition zur Mehrheit verholfen hat“, sagt Fischer. „Das wäre in Bonn ein echtes Sakrileg.“

Eine klare Absage erteilte Jürgen Trittin allen Vorschlägen für eine engere schwarz-grüne Zusammenarbeit auf Bundes- oder Landesebene. „Diese Diskussion wird nicht von uns betrieben, sondern kommt aus der CDU.“

Joschka Fischer möchte sich aber in dieser Frage offenbar wenigstens eine winzige Hintertür offenhalten. „Wenn Helmut Kohl morgen auf dem Weg vom Kanzlerbungalow zum Kanzleramt das Erlebnis des Saulus vor Damaskus haben würde, plötzlich für Ökologie und soziale Gerechtigkeit, für eine rein nichtmilitärische Außenpolitik und einen Ausstieg aus der Kernenergie eintreten würde, dann würde wohl selbst Jürgen Trittin schwach werden.“ Eberhard Löblich