In einer halben Stunde tödlich verstrahlt

■ Westliche Baufachleute untersuchen den Sarkophag von Tschernobyl

Kiew (AFP/taz) – Seit nunmehr drei Jahren untersuchen westliche Firmen, ob und wie der sogenannte Sarkophag über dem zerstörten Reaktorblock vier in Tschernobyl repariert werden kann. Fachleute der französischen Baufirma „Campenon Bernard“, einer Tochtergesellschaft des Mischkonzerns „Générale d'Eaux“, und der deutschen Gruppe „Walter Bau“ kamen letzte Woche mit alarmierenden Berichten in die ukrainische Hauptstadt zurück.

„Der Sarkophag kann die Verseuchung der Luft und des Grundwassers nicht mehr verhindern“, sagt ein Mitglied der Expertengruppe, ein anderes ergänzte: „Die Löcher sind so groß, daß selbst Vögel ins Reaktorinnere fliegen.“ Eine neue Studie soll nun ergründen, wie die atomverseuchte Anlage versiegelt werden kann. Die Probleme fangen schon beim Dach an. „Das ist bloß ein Deckel, der auf schwachen Fundamenten steht“, schreibt ein Baufachmann. „Das ist kaum verwunderlich. Das Gebäude ist unmittelbar nach dem Unglück in großer Eile errichtet worden, daher mußte es zerbrechlich sein.“

Die westlichen Inspektoren warnen auch davor, daß der gegenwärtige Bau nicht erdbebensicher sei, obwohl Erdstöße der Stärke fünf auf der Richterskala in Tschernobyl statistisch alle 27 Jahre vorkämen, Beben der Stärke sechs alle hundert Jahre. Die Firmenexperten schlagen vor, auch Block drei des Tschernobyl- Komplexes zu verschließen, der immer noch am Netz ist. Noch sträubt sich die Regierung in Kiew aber dagegen, diesen Reaktor stillzulegen, der über einen gemeinsamen Schornstein mit dem Katastrophenblock vier verbunden ist.

Ungelöst ist zudem das Problem, wie die Reparaturarbeiter vor der intensiven Strahlung geschützt werden können. „Wenn es sich lediglich um Plutonium und Strontium handeln würde, könnte man mit Schutzanzügen arbeiten“, sagt der Franzose Jean-Marie Lavie. Vermutlich liegen etwa 440 Kilogramm hochradioaktives Plutonium 239 in den Trümmern. Um den Reaktorkern sind aber auch fünf Millionen Curie Gammastrahlung von Cäsiumisotopen gemessen worden. Lavie sagt: „Wer sich eine halbe Stunde lang im Innern des Sarkophags aufhielte, würde einer fast tödlichen Strahlendosis ausgesetzt.“ Daher müßten die Arbeiten mit Geräten ausgeführt werden, die von außerhalb des Sarkophags gesteuert werden. nh