Die „Estonia“-Werft pfuscht immer weiter

■ Die Reederei der Unglücksfähre wirft der Meyer-Werft unseriöse Ausreden vor

Tallinn (taz) – Die internationale Untersuchungskommission hat gestern in Tallin ihren Bericht über die „Estonia“-Katastrophe abschließend beraten. Fest steht danach, daß nicht nur die Bugklappe der Unglücksfähre vorschriftswidrig gebaut war, sondern auch der Klappenverschluß zu schwach ausgelegt war.

In die „Atlantikschloß“ genannte Verriegelung wird – ähnlich den weiteren seitlichen Verschlußmechanismen – ein Bolzen durch Halterungen geschoben, um die sonst nur mit Scharnieren befestigte Bugklappe festzuhalten. Alle seitlichen Halterungen waren bei der Estonia geborsten, die Scharniere allein konnten die Klappe nicht halten. Dieser Fehler allerdings verstieß nicht gegen Sicherheitsvorschriften: Es gab keine. Wie Börje Stenström, schiffstechnischer Experte in der Kommission, sagt, hielten die internationalen Vorschriften mit der Entwicklung der Fährtechnik nicht mit.

Trotzdem hatte die Klassifizierungsgesellschaft „Bureau Veritas“ gegen die Konstruktion des Atlantikschlosses Bedenken erhoben. Die finnische Seesicherheitsbehörde müsse als zuständige Behörde diese Konstruktion gutheißen, heißt es in einem Vermerk.

Nur hat die Meyer-Werft weder Zeichnungen noch Berechnungen nach Helsinki geschickt. Die Papenburger Werft, auf die Vorwürfe offenbar vorbereitet, behauptet, bei einer Reparatur des Schiffes auf einer estnischen Werft im Winter 1994 sei der Schließmechanismus verändert worden.

Doch Stenström hält wenig von diesem Entlastungsversuch: „Wir wissen von nichts, was diese Theorie bestätigen könnte.“ Für die Estonia-Reederei Nordström & Thulin ist sie „ganz einfach unseriös“, wie deren technischer Chef Sten-Christer Forsberg sagt. Umbauten am Bugschloß habe es nicht gegeben, sie hätten im übrigen auch in den Schiffspapieren festgehalten werden müssen, was nicht der Fall sei, wie Meyer genau wisse. Außerdem hätten die Umbauten von der Klassifizierungsgesellschaft protokolliert werden müssen, die das Schiff wenige Tage vor dem Untergang umfassend inspiziert hat. Auch das ist nicht geschehen. Für die Kommissionsthese der Materialschwäche spricht hingegen die auffallende Parallele zu einem schweren Sturmschaden beim gleichzeitig erbauten Schwesternschiff „Diana II“ sechs Monate vor der Estonia-Katastrophe. Damals waren allerdings nicht der gesamte, sondern nur Teile des Schließmechanismus gebrochen. Reinhard Wolff