Kekse als Munition im heiligen Kampf

■ Oberbefehlshaber der Heilsarmee besuchte seine östlichen Divisionen

„Blut und Feuer“ steht auf der rotblauen Fahne an der Wand des Korpsstandortes der Heilsarmee im Prenzlauer Berg. Doch statt Patronengurten und Splittergranaten stehen auf den Tischen lediglich Kaffetassen und Körbe voller Plätzchen. Munition im heiligen Kampf gegen die Sünde.

Um dieser nunmehr auch in den östlichen Divisionen mittels gezielter Sozialdiakonie entgegentreten zu können, war am Donnerstag General Paul A. Rader zu einer zweitägigen Visite in Berlin eingetroffen. Allein in Berlin unterstehen dem Generalissimus aus London vier Korps mit insgesamt 180 Soldaten und Offizieren. Einer von ihnen ist Feldsergant Siegfried Fischer. Der Oberkommandierende der christlichen Armee im Prenzlauer Berg hastet ins Offizierscasino, wo sich bereits ein paar Obdachlose über den dünnen Kaffee und die Lebkuchenherzen hermachen. „Entschuldigen Sie die Verspätung. Der General ... Sie verstehen“, entschuldigt er seine aus militärischer Sicht unverzeihbare Verspätung.

Keine Ahnung von Strammstehen, der Mann. Ich verkneife mir ein „Können sie nicht grüßen, Sergant!“ und begnüge mich mit dem laschen Händedruck des Pseudomilitärs. Scheißdisziplin nennt man das beim Heer. Seine mitternachtsblaue Phantasieuniform mit den roten Schulterstücken kann jedenfalls nicht darüber hinwegtäuschen, daß er bei der Bundeswehr bestenfalls bedingt tauglich wäre.

Vielleicht liegt es daran, daß der schmächtige Sergant mit dem Ziegenbärtchen ein Quereinsteiger bei der Truppe ist. Bei ihm, einem Diplomvolkswirt, war es keine innere Stimme, die ihn in die Uniformjacke zwang. Er folgte lediglich dem weltlichen Ruf der Heilsarmeezentrale, die einen Profi suchte, um das Korps im Herzen der Ostdivision ordentlich zu organisieren.

Was ist das für eine komische Vereinigung? Will man dem Militariafreak im Christenmenschen zu seiner inneren Marschformation verhelfen oder einfach nur die Masse uniformierter Spinner auf diesem Planeten vergrößern?

Nichts von alledem, nach Auffassung der Salutisten, wie sich die Mitglieder der uniformierten Heerschar nennen, reagiert das Böse nicht auf fromme Ermahnungen. Es müsse vielmehr mit christlicher Überzeugung, die sich auf die Bibel gründet, bekämpft werden. Dazu hilft nach Auffassung des Heilsarmee-Gründers William Booth nur eine straffe Organisation und die Disziplin einer Armee. Nach dem Motto: „Suff schlecht, Puff schlecht, Tabak rauchen ebenso“, erklärte der Puritaner dem Laster den Krieg, wofür er von den Sündern entsprechend verhohnepipelt wurde. Diese hatten nämlich ganz andere Sorgen: Hunger und Obdachlosigkeit. Ihm dämmerte es: „Einem hungrigen Magen kann man keine Predigt halten.“ Fortan lockte er seine Klientel aus dem Londoner Eastend mit Kiez-Suppenküchen zum Gebet.

Auf die Idee zur Gründung einer Armee soll Booth Mitte vergangenen Jahrhunderts durch einen Londoner Bobby gekommen sein. Dieser, so wird erzählt, habe sich ein Brett mit der Aufschrift „Halleluljah“ auf seinen Diensthelm genagelt und den sündigen Briten die Leviten gelesen. Ein Schlüsselerlebnis für den Methodisten Booth, der daraufhin zunächst die „Hallelulia-Armee“ gründete und sich als General an die Spitze derselben stellte. Im Jahr 1878 entstand der Name „Heilsarmee“.

Inzwischen ist die sonderbare Armee in 93 Ländern der Erde vertreten und gibt zwischen Kolumbien und Kalkutta Tag für Tag über 50.000 Personen ein Dach über dem Kopf. Neben der Betreuung von Obdachlosen verkünden die Soldaten Gottes das Evangelium in 136 Sprachen und unterrichten weltweit mehr als eine halbe Million Kinder in Sonntagsschulen. In Begleitung von Europa-Kommandeur Lennart Hedberg und einer Gruppe ehrwürdiger Grauköppe inspizierte der 61jährige Oberkommandierende Paul A. Rader nun Armee-eigene Heime und Asyle in Berlin, Dresden, Chemnitz und Leipzig, die nach der Wende aufgebaut worden sind. In der DDR waren die Missionare mit ihren Phantasieuniformen weder als Suppenküchenbetreiber notwendig noch als Moralapostel gefragt. Feldsergant Siegfried Fischer in der Festung Prenzlauer Berg ist davon überzeugt, daß der Konflikt mit den DDR- Machthabern daher rührte, weil diese ihnen ihre Uniformen nicht gönnten. Der Sergant-Diplomvolkswirt macht jedenfalls den Eindruck, als hätte er den Zusammenbruch des SED-Regimes durch rechtzeitige Versuppenküchung aufhalten können. Peter Lerch