Weg mit die Currywurst!

Nach dem freien Parken droht nun auch der Currywurst das Aus. Sagt der Taxifahrer. Die Kultur der Berliner trieft damit in ihrer bislang tiefsten Sinnkrise  ■ Von Uwe Rada

Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Das kennt jeder. Das ist Berliner Liedgut. Also Kultur. Und der Kultur, der Berliner Kultur, geht es wie der Wurst. Ständig ist sie am Ende. Am einen oder am anderen.

Wo es keine Kultur mehr gibt, gibt es keine Freiheit. Am besten wissen das die Berliner Taxifahrer. Wen in diesen Tagen nach der Landung in Tegel oder am Zeitungskiosk die Berliner Wirklichkeit einholt, mit Herz und Schnauze versteht sich, der ahnt, daß es schlimm bestellt ist um den Seelenzustand der Hauptstädter. Und um ihre Weltgewandtheit.

„Kaum haben wir denen drüben den Markt beigebracht, also Freiheit und Kultur“, sagt der Taxifahrer, „schon kommen sie uns hintenrum mit Sozialismus. Oder was bitte soll Zwangsparken anders sein als Planwirtschaft?“ Sagt der Taxifahrer. Und steuert den nächsten Imbiß an. Amtsgerichtsplatz. „Dort nimmt auch der Momper seine Currywurst.“ Sagt der Taxifahrer. Als er zurückkommt, klebt an der Windschutzscheibe ein Strafzettel.

Die Berliner Freiheit stirbt knöllchen- und scheibchenweise. Mit ihr die Berliner Kultur. Also die Kultur der Berliner. Die gibt es tatsächlich: die Berliner. Steht in der Zeitung. Täglich. „Die Berliner können sich freuen“ oder: „Berliner, aufgepaßt!“ Und wo der Berliner ist, kann die Kultur nicht weit sein. Oft schon steht sie an der nächsten Ecke. Die Bude. Die Currywurstbude. Die Eßkultur. Wobei wir wieder am Anfang wären. Oder besser am Ende. Nicht nur der Freiheit nämlich geht es an den Kragen, sondern auch dem „Berliner Nationalgericht“. Sagt der Taxifahrer. Steht auch in der Zeitung.

Die freie Fahrt endet an der Parkuhr, und den drei Damen vom Grill geht das Feuer aus. Herrscht tatsächlich kalter Krieg? Krieg gegen die Kultur? Krieg gegen die Berliner?

Am härtesten umkämpft ist Friedrichshain. „Wie zu Zeiten der Mainzer Straße“, schnoddert mein Taxifahrer. An der Warschauer Straße, Ecke Gubener, haben sich auf dem Vorplatz der Kaufhalle nicht nur schnorrende Punks niedergelassen, sondern auch zwei Imbißbuden. Links Döner, rechts Currywurst. Dazwischen gerade mal zwei Meter. Zwei Meter, zwei Kulturen. Für einen Berliner an der Currybude eine zuviel. Sagt mein Taxifahrer. „Der Berliner zeigte dem Kunden am andern Stand, daß eine K.o.-Existenz auch nicht schlechter ist als friedliche Koexistenz.“ Es geht schließlich um die Wurst. Wenn nötig mit Gewalt. Zwischen den Zipfeln einer Currywurst ist kein Platz für Experimente. Auch nicht für kulturelle. Jedenfalls nicht bei den Berlinern. Kulturelle Experimente gedeihen nur im Umfeld von Hausbesetzern. Also Antiberlinern. In der Jessnerstraße zum Beispiel. Dort steht vor der Kaufhalle ein Asia- Imbiß. „Der Krieg hat begonnen.“ Sagt mein Taxifahrer.

In Kreuzberg ist der Krieg zwischen Kultur und Barbarei längst entschieden. Meint mein Taxifahrer. Doch nicht nur in Kreuzberg. Auch auf dem platten Land. In Güstrow zum Beispiel steht auf dem Marktplatz eine Dönerbude. Sonst nix. Bei Rerik ist es ein Kutter mit Fischbrötchen. „Jetzt mal echt?“ fragt mein Taxifahrer. „Keene Currywurst? Wat ham die denn in Güstrow?“ – „Barlach“, kommt es zur Antwort. „Und die in Rerik suchen die Küste von Sansibar.“ – „Ohne Scheiß?“ fragt der Taxifahrer. „Und ohne Darm!“ antworte ich.

Ob die wissen, daß sie beschissen werden? Die Taxifahrer? Die Berliner? Daß ihr Sattsein ein Phantom ist? Ein 80-Gramm- Phantom. So viel wiegt nämlich eine Currywurst an der Bude. 20 Gramm weniger, als man zum satt werden braucht. Berliner wollen beschissen werden. Deshalb essen sie Currywurst.

An der Schönhauser Allee, am Nordkreuz, dem sie keinen Namen gegeben haben, meint der Taxifahrer, drängt sich eine Menschentraube. Um einen Imbißstand. Konnopke. „Das war Freiheit im Sozialismus. Also Kultur.“ Meint der Taxifahrer und hält an. Austreten. An der Currywurst-Theke steht der Schauspieler Wolfgang Völz und schmatzt. „1946 kam ich nach Berlin. Da gab's noch keine Currywurst. Aber Schaschlik. Beim Dicken Heinrich.“ Der frißt manchmal vier Würste nacheinander. Erzählt der Taxifahrer. Kein Wunder, daß Käptn Blaubär immer am Boden bleibt. Sagt Karl Fleischbär. Der ist der Uronkel von Käptn Blaubär und der Erfinder der Currywurst. Sagt Wolfgang Völz. Alle nicken.

Wer will es leugnen. Auch in Berlin gibt es Tellerwäscherkarrieren. Nur heißen sie hier Currywurstproduzenten. Max Brückner zum Beispiel. Ein Wahlberliner. Aus dem Erzgebirge. Aus Max wurde Maximilian. Eine Berliner Karriere. Ein Currywurstimperium. Im Westen.

Im Osten gibt es Konnopke. Konnopke ist nicht nur Kultur. Konnopke ist Religion. „Die Atheisten drüben ...“, meint mein Taxifahrer.

„Hier“, sage ich.

„Die Atheisten haben sie nicht kleingekriegt. Aber jetzt soll's ihr an den Kragen!“

„Wem?“

„Der Enkelin von Konnopke.“ Sagt mein Taxifahrer.

„Quatsch“, sagt einer aus dem Bezirksamt. Er wird ausgebuht.

„Rettet die Currywurst“, schreit einer. Es geht ums Ganze. Es geht um Beschiß. Es herrscht Kalter Krieg. „Frontabschnitt Konnopke.“ Sagt mein Taxifahrer.

Wo die Kultur der Berliner in Gefahr ist, darf der Regierende Bürgermeister nicht fehlen. Currywurstmampfend blickt uns seine Mundpartie aus der Boulevardpresse entgegen. Wer so ißt, regiert auch so. Wer so regiert, den mag die Hauptstadtpresse: „Trotz kühlen Wetters haben sich gestern abend Hunderte Berliner in den Bann der Wurst ziehen lassen.“ Meint die Berliner Zeitung.

Wo die Kultur der Berliner in Gefahr ist, wird selbst zum letzten Mittel gegriffen: zum Buch! Es heißt „Currywurst“ und malt die kulinarische Ödnis an die Wand. „Die Currywurstbuden und -stände gehören zum Straßenbild Berlins, zum Leben in dieser großen Stadt. Politiker und Beamte müssen begreifen, daß diese Budenkultur erhalten bleiben muß, denn sonst lassen sie die Metropole verhungern.“ Sagt nicht mein Taxifahrer. Steht im Buch. Dort wird munter geoutet. Wie damals im Stern. Alle bekennen sie es: Harald Juhnke, Gisela Oechelhäuser, Brigitte Grothum, Matthias Koeppel, Wolfgang Lippert.

Currywurst ist Kultur. Die Kultur ist in Gefahr. Die Bedrohung ist um so größer, je unbekannter die Gefahr ist. Currywurst ist Beschiß. Currywurst ist Freiheit. Wie die Glocke am Rathaus Schöneberg und der Rosinenbomber am Flughafen Tempelhof. Und Currywurst ist amerikanisch. Wie die bei „Käthes Imbiß“. Am John-F.- Kennedy-Platz. Der liegt am Rathaus Schöneberg. Unter der Freiheitsglocke.

Ohne Amis gäbe es keinen Curry und kein Ketchup. Sagt Hertha Heuwer. Am 4. September 1949 briet die heute 82jährige ihre erste Currywurst. Kaiser-Friedrich-Straße, Ecke Kantstraße. Drei Tage später tritt das westdeutsche Parlament zusammen. Noch einmal vier Tage später wird Konrad Adenauer (mit seiner eigenen Stimme) zum Kanzler gewählt. Die Blockade war überstanden. Adenauer brachte die Freiheit. Hertha Heuwer die Currywurst. Im Westen. Und Konnopke hielt die Stellung im Osten. Kalter Krieg.

„Wo bleibt Günther Pfitzmann?“ fragt mein Taxifahrer. „Wo bleibt die Currywurst-Partei?“ Es sind schwere Zeiten, die er derzeit durchzustehen hat. Mein Taxifahrer. Der Berliner. Was hat er nur vor 1949 gemacht? Mit den Wienern. Die nämlich stammen nicht aus der österreichischen Weltstadt, sondern aus der Wiener Straße in Kreuzberg. „Das Schiller Theater haben sie ja auch geschlossen.“ Sagt mein Taxifahrer.