Chef für Seesicherheit muß nachsitzen

Estonia-Katastrophe: Schwedische Behörden hätten vor der Gefahr warnen können / Auch neuere Ostsee-Fähren erfüllen die geltenden Sichherheitsvorschriften nicht  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Bengt-Erik Stenmark, Direktor der schwedischen Seesicherheitsbehörde übernimmt die neugeschaffene Stelle eines „Forschungschefs“. Er behaupet beharrlich, daß ihn „die neue Aufgabe reizt“. Die Medien werten die Beförderung als verschleierten Rücktritt. Der Zusammenhang mit der „Estonia“-Katastrophe ist eindeutig, worauf auch die einzige offizielle Stellungnahme hinweist: Stenmarks Entlassung habe nichts mit der „Estonia“ zu tun, die nicht unter schwedischer Flagge fuhr. Wohl aber das ebenfalls auf der Papenburger Meyer-Werft gebaute Schwesterschiff „Diana II“, das mit schwedischem Seesicherheitszertifikat auslief. Nachdem bekanntgeworden war, daß die „Diana II“ ein halbes Jahr vor dem Untergang der „Estonia“ ebenfalls Probleme mit der Bugklappe hatte, behauptete Stenmark in der Öffentlichkeit, Kapitän und Reederei TT-Linie hätten den Vorfall nicht gemeldet. Das trifft auf die Hamburger Reederei zu, nicht aber auf den Kapitän. Die Staatsanwaltschaft in Malmö stellte das Ermittlungsverfahren ein, das gegen ihn eingeleitet worden war. Begründung: Es stehe fest, daß die Filiale der Seesicherheitsbehörde in Malmö informiert worden sei. Das Schiff ist aber weder besichtigt worden, noch hat die Zentrale in Norrköpping reagiert. Stenmark hatte den Zwischenfall nachträglich als bedeutsam für den „Estonia“-Untergang dargestellt, und sich damit selbst die Grube gegraben: Wäre das Problem bekanntgeworden, hätte man die „Estonia“ gezielt untersuchen können.

Haarsträubend an der Sicherheit ist auch bei anderen Fährschiffen gespart worden. Die schwedische „Silja-Linie“ teilte gestern mit, daß mindestens vier ihrer Schiffe die Vorschriften nicht erfüllen – darunter die vor drei Jahren auf der Meyer-Werft gebaute, weltweit größte Fähre „Silja Europa“. Die Schiffe sind mit doppelten seitlich aufklappbaren Bugtoren ausgestattet. Aber nur die äußere Klappe ist wasserdicht. Bei einem Unfall würde auch das innere Tor beschädigt – eine Kettenreaktion, die der „Estonia“ zum Verhängnis wurde. Für die Routen zwischen Schweden und Finnland hatten die Seesicherheitsbehörden diesen Schiffen trotzdem das Seesicherheitszertifikat für „landnahen“ Verkehr erteilt.

Diese Ausnahme soll ab Sommer im Verkehr nach Helsinki nicht mehr gelten, da in diesem Gewässer Wellen von vier Meter Höhe häufig sind. Zusätzlich zum unzureichenden inneren Bugtor soll nunmehr eine dritte, wasserdichte und angeblich beschädigungssichere Bugtorkonstruktion eingebaut werden. Bis dahin müssen die Schiffe mit zugeschweißtem Bug fahren.