Pflegeversicherung – ein Fall für erste Hilfe

■ Sozialverwaltungen sind zwei Wochen vor dem Start der Pflegeversicherung heillos überlastet und überfordert

Zwei Wochen bevor am 1. April die Pflegeversicherung wirksam wird, ist die Lage chaotisch. Erst ein Zehntel der bisher eingegangenen 38.900 Anträge zur Pflegeversicherung sind bislang bearbeitet, stellte gestern der Geschäftsführer des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung, Rolf Juschkewitz, fest. Es fehle an Personal: Derzeit müßten 69 ärztliche Gutachter die erwarteten 60.000 Anträge bearbeiten. Wenn das Personal nicht umgehend aufgestockt werde, werde die Bearbeitung der Anträge noch mehrere Monate in Anspruch nehmen. Selbst wenn zusätzliche Kräfte eingestellt würden, ließe sich der gesamte Antragsberg nicht termingemäß abbauen.

Bislang ist auch noch keine Vereinbarung darüber abgeschlossen worden, wieviel eine Pflegestunde kosten wird. Dies muß zwischen den Pflegekassen, den Anbietern von häuslicher Pflege und der Senatsverwaltung für Soziales ausgehandelt werden.

Auch in den Bezirksämtern sind die Sachbearbeiter mit der Umsetzung der Pflegeversicherung vielfach überfordert. In den Sozialämtern steht kein zusätzliches Personal für die Umsetzung der Pflegeversicherung zur Verfügung. „Wir können kaum garantieren, daß alles reibungslos läuft“, hieß es gestern aus einem Sozialamt im Westteil der Stadt. Die Rechtslage, wie die Pflegeversicherung umzusetzen ist, sei den Bezirksämtern erst seit Mitte Februar bekannt. Es seien immer noch nicht alle Rundschreiben der Senatsverwaltung für Soziales eingetroffen. Das liege aber daran, daß bei der Pflegeversicherung bis zuletzt Punkte offengeblieben seien.

Unter der Androhung, daß ihre Pflegegeldzahlungen Ende März eingestellt werden, hat das Bezirksamt Pankow Blinde aufgefordert, einen Antrag auf Pflegeversicherung zu stellen. Fälschlicherweise hieß es in dem Schreiben, es bestehe ab dem 1. April kein Anspruch mehr auf das Berliner Blindengeld. Tatsächlich gilt jedoch Bestandschutz für die bisherigen Bezieher, wenn bei ihnen die Pflegeversicherung nicht greift. Der Allgemeine Blindenverband Berlin warf den Bezirksämtern und der Senatsverwaltung für Soziales daraufhin vor, blinde Pflegegeldempfänger zu verunsichern.

Aus dem Pankower Sozialamt hieß es gestern, man wolle sich später nicht vorwerfen lassen, daß die Betroffenen ihre Ansprüche nicht geltend machen. Offenbar befürchten die Mitarbeiter aber auch Beanstandungen des Rechnungshofes, falls Empfänger des Pflegegeldes weiterhin Gelder aus dem Berliner Haushalt erhielten. Inzwischen hat die Senatsverwaltung die Bezirke per Rundschreiben aufgefordert, Einzelfallprüfungen durchzuführen.

Drei Bezirksämter teilten Betroffenen fälschlicherweise auch mit, sie würden ab dem 1. April nur noch den Differenzbetrag zwischen Berliner Pflegegeld und Pflegeversicherung erhalten. Dabei liegt der dafür zwingend notwendige Bescheid noch gar nicht vor. Dorothee Winden