In Italien herrscht die totale Konfusion

Regierung stellt Vertrauensfrage / Christdemokraten spalten sich erneut, auch Neokommunisten vor Zerreißprobe / Amtsrichter setzt neue Chefredakteure des Staatsrundfunks ab  ■ Aus Rom Werner Raith

Normalerweise sind die Italiener ja schon ein gerüttelt Maß an alltäglichem Chaos gewohnt. Derzeit jedoch suchen die Herrscher über das Land das Chaos komplett zu machen – faktisch nichts, aber auch gar nichts geht mehr.

Gestern sah sich der vor zwei Monaten mit einem Techokraten- Kabinett an die Regierung gekommene ehemalige Generaldirektor der Notenbank, Lamberto Dini, zur Vertrauensfrage genötigt: Ein weiterer nahezu senkrechter Lira- Absturz (bis auf 1.220 pro Mark), ein seit Wochen rückläufiger Aktienindex und die wieder anziehende Inflation könnten nur durch eine schnelle Verabschiedung des Nachtraghaushaltes von umgerechnet knapp 20 Milliarden Mark und die danach anstehende Einigung in der Rentenreform gebremst werden. Doch die Parteien, allen voran die im Dezember von der Macht vertriebene Rechte um die Forza Italia des Medienherrschers Silvio Berlusconi und der neofaschistischen Nationalen Allianz, wollen mit einer Verhinderung des Manövers Neuwahlen erzwingen, obwohl sie den Haushalt in seinen großen Zügen gutheißen.

Ihnen zur Seite steht die linksextreme Rifondazione comunista, die ebenfalls auf Neuwahlen setzt, weil sie den gemäßigten Vettern der Demokratischen Partei der Linken (PDS) Wähler abzunehmen hofft. Allerdings haben einige Fraktionsmitglieder der Rifondazione ihren Dissens angekündigt, und das könnte, zusammen mit den Stimmen von PDS, der Italienischen Volkspartei und der Lega Nord, bei der für heute vorgesehenen Abstimmung den Ausschlag geben.

Unsicherheiten, wohin man blickt: die italienische Volkspartei weiß derzeit nicht einmal, wer ihr Vorsitzender ist. Vergangenen Samstag war beim kleinen Parteitag ein Mißtrauensantrag gegen den Vorsitzenden Rocco Buttiglione wegen dessen Bündnis mit der Rechten durchgegangen – doch nun hat der Ältestenrat der Partei die Abstimmung anulliert, weil drei Buttiglione-Männer vom Votum ausgeschlossen worden waren. Die parteiinterne Linke wiederum moniert, daß fünf ihrer Leute im Ältestenrat widerrechtlich nicht zur Abstimmung zugelassen worden seien, und will nun am heutigen Donnerstag einen neuen Sekretär wählen, was Buttiglione natürlich für illegal hält. Eine Spaltung scheint unvermeidbar.

Und, um das Chaos komplett zu machen, nun ist auch noch der Staatsrundfunk RAI durch den Spruch eines Amtsrichters in eine ähnliche Situation gebracht worden wie die Volkspartei: Keiner weiß mehr, wer da welche Befugnisse hat. Alle in den letzten zwei Monaten vorgenommenen Ernennungen von Chefredakteuren sowohl im Hörfunk wie im Fernsehen seien unrechtmäßig, so das Urteil: Die voriges Jahr von Berlusconi zur Generalintendantin gemachte Managerin Letizia Moretti hatte, als die Rechte die Macht verlor, noch schnell treue Gefolgsleute von Forza Italia und Nationaler Allianz in Schlüsselstellungen gebracht, obwohl sie dazu kein Mandat mehr hatte. Doch da der Amtsrichter sich nicht dazu geäußert hat, wer denn nun statt der unrechtmäßigen die rechtmäßigen Chefs sind, herrscht eifriges Nebelstechen: Die Gewerkschaft Lusigrai und der Redaktionsrat der RAI gehen davon aus, daß nun die vorher amtierenden Chefs wieder eingesetzt wären (von denen einige aber längst andere Stellen angenommen haben), der Syndikus vermutet, nun müßten die Stellvertreter der Chefredakteure walten, und die Intendanz meint gar, der Spruch ändere gar nichts, schließlich sei er ja noch nicht rechtskräftig. Weshalb der Amtsrichter nun eine 72-Stundenfrist nachschob, innerhalb der die falsch eingesetzten Chefs abrücken müßten. Seit gestern firmieren denn in jeder Redaktion und jeder Nachrichtensendung nicht mehr, wie bisher, einer, sondern zwei Chefs – der vormalige und der neue.