Es wird alles immer schlimmer

■ Wie man die eigenen Ziele torpediert, indem man politisch maßlos übertreibt: Ein aktuelles Beispiel aus dem Bündnis zum 8. Mai / Ein PDS-Abgeordneter und sein unsägliches Papier zu Geschichtsrevisionismus

Es ist wie die Geschichte vom Schwimmer und dem Hai. Der Badende, der mit seinem Schrei „Der Hai kommt!“ siebenmal die Strandgäste aufzuscheuchen versucht, wird beim achten Mal nicht mehr ernstgenommen und vom Hai gefressen. Ein ähnliches Schicksal droht gewissen Linken, die stets und ständig „Faschisierungsgefahr!“ rufen. Sie machen sich damit nicht nur selbst lächerlich, was zu verschmerzen wäre, sondern unterhöhlen auch die eigenen Ziele. Hier ein aktuelles Beispiel aus jenem „Bündnis“, das derzeit eine „Mahnwoche“ zum 8. Mai vorbereitet.

Das von Sozialdemokraten bis zu „Graswurzel“-Anarchisten reichende Bündnis hatte sich auf Initiative der Internationalen Liga für Menschenrechte vor über einem Jahr gegründet, um gegen „die Relativierung des Nationalsozialismus und gegen die Militarisierung deutscher Politik“ aufzutreten. Ein zweifellos unterstützenswertes Anliegen, wenn man die Aktivitäten der Zitelmännchen und anderer Neurechter ernst nimmt oder die Anstrengungen der Regierung beobachtet, die Bundeswehr zu einer interventionsfähigen Truppe auszurichten. Als Gegengewicht zu den offiziellen Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus bereitet das Bündnis verschiedene Podiumsdiskussionen, Gedenkveranstaltungen und eine Demonstration samt abschließendem „Friedensfest“ vor. So weit, so gut, so langweilig.

Doch dann rüttelte der erst 23jährige PDS-Abgeordnete Steffen Zillich bei der Vorstellung dieses Programms vor der Presse die Massen auf. Mit Hilfe der offiziellen Feiern am 8. Mai solle „die letzte Scham abgebaut“ und „die Zurichtung der deutschen Bevölkerung auf künftige Militäreinsätze“ betrieben werden. Wer es nicht glauben wollte, konnte es in seinem in der Pressemappe abgehefteten Papier „Geschichtsrevisionismus und NS-Relativierung“ noch mal nachlesen.

Gleich der erste Satz ist ein Schuß vor den Bug: „Seit dem 1. Januar 1995 wird zurückgeschossen: Mit Hilfe affirmativer Berichterstattung [...] soll deutsche Geschichte entsorgt und die künftige Mittelmachtstellung Deutschlands multimedial vorbereitet werden. Versuche des geschichtswissenschaftlichen Umgangs mit dem NS, welche Jürgen Habermas als ,Entsorgung der Vergangenheit‘ kritisierte, werden in den nächsten Monaten die bundesrepublikanische Öffentlichkeit überschwemmen.“ – „Wird zurückgeschossen“: Diese Gleichsetzung des Nazi- Angriffskrieges mit Fernsehbeiträgen von angeblichen oder tatsächlichen Neurechten nimmt hier ausgerechnet einer vor, der die Gleichsetzung von Auschwitz mit anderen Massenmorden skandalisiert. Und: Warum wird ausgerechnet ab 1. 1. 1995 „zurückgeschossen“? Derzeit, in zeitlicher Nähe zum 50. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz und unter strenger Beobachtung des Auslandes, kann es sich kein ernsthaftes Medium und kein höherrangiger Politiker leisten, eine derartige „Geschichtsentsorgung“ betreiben zu wollen. Die Beispiele, die der Autor aufführt, sind blühender Phantasie entsprungen: „In allen Medien [!] erinnern sich schneidige Ex-Leutnants an ihre Kriegserlebnisse und erzählen von Heldentum und Fairness“. Oder: „Der Zweite Weltkrieg wird in einen Krieg zur Verteidigung Europas umgedeutet, die Noltesche These von der Bolschewistenfurcht Hitlers als Kriegsursache setzt sich nun endgültig [!] durch.“ Oder, ein ganz besonders aparter Satz: „Heute stellt sich das Eigenverschulden der Juden (,Liberalismus‘, ,Spekulantentum‘, ,Bolschewismus‘) [...] in den Vordergrund.“ Hier stellt sich wohl eher ein antisemitisches Eigenverschulden des Autors in den Vordergrund! Auch wenn wir zu seinen Gunsten annehmen wollen, daß er vergaß, das „Eigenverschulden“ in Anführungsstriche zu setzen, ist das gerade bei diesem heiklen Thema keine Entschuldigung.

Und so geht es das ganze Papier hindurch lustig weiter. An jeder Ecke sieht der PDS-Mann die Kolonnen der Geschichtsrevisionisten sich durch den historischen Untergrund wühlen, damit am 8. Mai endlich „die letzte Scham abgebaut“ ist. Aber für die reale Gefahr, daß das offizielle Bemühen um „Aufarbeitung“ nach dem „Gedenkjahr 1995“ ein abruptes Ende finden wird und die „Normalisierer“ dann tatsächlich Triumphe feiern werden, ist Zillich blind.

Kein Wunder: Der PDS-Mann gehört zu jener „Es-wird-alles-immer-schlimmer“-Fraktion, die sich nicht mehr die Mühe macht, ernsthaft zu analysieren. Denn ihr Weltbild würde krachend zusammenstürzen, wenn sich irgend etwas in diesem Staat mal verbessern statt verschlimmern würde. Katastrophilie heißt diese Krankheit, und die Befallenen brauchen den drohenden Weltuntergang oder den nahen Sieg der „Neuen Rechten“ wie Süchtige ihren Stoff. Sie hoffen wohl, mit ihren apokalyptischen Bildern die Massen mobilisieren zu können, tatsächlich aber sorgen sie dafür, daß sie bei ihren Veranstaltungen und „Friedensfesten“ unter sich bleiben.

Und wie steht das Bündnis zu solchen Bündnisgenossen? Zillichs Papier sei „kein Konsenspapier“ und werde von vielen nicht geteilt, so die Bündnis-Initiatorin Eleonore Kujawa. Der Autor sei „ein winziges Pünktchen in einem riesengroßen Bündnis“. Hoffentlich weiß das auch der Hai. Ute Scheub