■ Die Verbitterung der Katholiken wird immer tiefer
: Dogmatische Deiche

Die schlimmsten Schwerhörigen sind diejenigen, die überhaupt nicht verstehen wollen. In der französischen Kirche kracht es an allen Ecken und Enden. Die Affaire Jacques Gaillot, des Ex-Bischofs von Evreux, der im Januar vom Papst geschaßt wurde, ist das jüngste Beispiel eines tiefen Mißbehagens. Der Streit hat sich zugespitzt zwischen den Katholiken, die über das „religiös Korrekte“ der römischen Bürokratie verbittert sind, und den Bischöfen, die zu zweiten Statthaltern der Kongregation der Glaubensdoktrin degradiert wurden.

Der Wind von Freiheit und Kreativität des zweiten vatikanischen Konzils in der Mitte der 60er Jahre ist verflogen. Französische Bischöfe hatten sich an vorderster Stelle an jener Öffnung der Kirche zur modernen Welt beteiligt. Als Antwort kam die Kirchenspaltung, die der traditionalistische Bischof Lefebvre auslöste. Seither hört die „älteste Tochter der Kirche“ – wie sich die französische Kirche nennt – gar nicht mehr auf, öffentlich Abbitte zu tun. Ihr Motto: Bloß kein neues Aufsehen erregen. Die meisten Theologen halten den Mund, die Bischöfe verstecken sich in ihren Diözesen und versuchen im Zweifelsfall, am Vatikan und den Traditionalisten vorbeizulavieren.

Weil er diese Vogel-Strauß-Politik abgelehnt hat, ist Jacques Gaillot für viele Christen ein Symbol geworden. Zum Symbol eines Christentums, das wie Hans Küng sagt, seinen Weg sucht „zwischen einem grundlosen Modernismus und einem Fundamentalismus ohne Modernität, ohne Toleranz und ohne Bereitschaft zum Dialog“. Das ist freilich nicht der Weg, auf den Papst Johannes Paul II. die katholische Kirche verpflichtet hat.

Trotz der Gesten der Öffnung gegenüber christlichen Kirchen und andere Religionen, sieht sich die Kirche von Rom weiterhin als einzige Inhaberin der richtigen Interpretation der göttlichen Botschaft. In ihrem Innern ist es noch schlimmer. Ständig ist der Vatikan bemüht, seine dogmatischen Deiche aufzustocken: mit universellem Kathechismus, Moralenzyklika und Sanktionen verschiedenster Art. Den Protest vermag er dennoch nicht einzudämmen.

Jeder einzelne autoritäre Akt vergrößert den Graben zwischen der Mehrheit der Franzosen, die sich noch immer katholisch nennen und einer Institution, die sie für zunehmend rückständig halten. Die Katholiken wollen nichts weiter, als von ihrer Kirche als Erwachsene behandelt werden, als freie und verantwortliche Menschen. Rom hingegen hat gerade wieder einmal gezeigt, daß das nicht dem Interesse der Kirche entspricht, die immer noch wie eine Monarchie nach göttlichem Recht funktioniert. Zwischen dieser Kirche und der Freiheit des Evangeliums gilt es, sich zu entscheiden. Serge Lafitte

Französischer Journalist, auf Religionsfragen spezialisiert. Übersetzung: dora