Himmlisch digital

■ Wenn der Computer alle Register zieht: In Bremens Kirchenorgeln hält der Mikrochip Einzug/ Im St. Johann im Schnoor wird der Bachsound auf der „Remocard“ gespeichert

Kantor Langosz grinst diabolisch, schiebt die Card mit dem Microchip in den Schlitz, drückt die A 1 und ab geht die Post. Ein Orgelkonzert von Bach braust ins Kirchenschiff, daß den Gläubigen Hören und Beten vergeht. Langosz kehrt der Tastatur den Rücken, verschränkt die Arme und genießt das Konzert mit Blick auf den Altar.

Das alles ist Zukunftsmusik – erste Schritte in Richtung „automatischer Kantor“ werden in Bremen allerdings gerade gemacht. Nach der St. Remberti Gemeinde ist jetzt auchSt. Johann im Schnoor dabei, seine Kirchenorgel digital nachzurüsten. „Die Japaner bauen schon Orgelroboter mit Gliedmaßen und allem drum und dran“, erzählt Langosz; „das dauert noch bei uns. Zum Glück.“ Er selbst ist begeistert von der neuen Technik und hat keine Angst vor Wegrationalisierung oder Computerkollegen.

Im Moment stellt die neue Technologie für den Kantor erstmal eine sinnvolle Ergänzung zur traditionellen Orgelmechanik dar. Bei Instrumenten neueren Datums, wie der Orgel im Schnoor (Jahrgang 65) mache das Update durchaus Sinn. Und das funktioniert so: Mit Hilfe eines eingebauten Datenspeichers lassen sich jetzt verschiedene Kombinationen von Klangfarben und Orchestrierungen abspeichern und auf Knopfdruck sofort wieder abrufen. Der Effekt: kein umständliches Hin- und Hergeschiebe der Registertrakturen mehr. Fast klingt es wie bei einer Musikbox: Bach liegt auf der D3, einen Palestrina gibts auf C5 und für Händels 17 Orgelkonzerte ist auch noch Platz.

In St. Johann lassen sich auf diese Weise 64 verschiedene Musikstimmungen programmieren, in St. Remberti sind es sogar 128. Außerdem läßt sich zu jeder Instrumentierung auch die passende Tonhöhe festhalten. Wenn man dann die einprogrammierten Klänge auf einer „Remocard“ abgespeichert hat, ist wieder Platz im stationären Speicher für unzählige neue Belegungen.

Beerdigun-gen und Hochzeiten gehören für den Kantor zum Tagesgeschäft. Mit dem kleinen elektroni-schen Freund muß er nicht jedesmal auf–s Neue sein Instrument einstimmen. Aus diesem Grund greift auch Hans Jürgen Freitag, Kantor in St. Remberti, gerne auf die Hilfe der Platine zurück: „Wenn ich heute abend ein Konzert spiele und am Montag kommt ein anderer Kollege, dann krieg ich eine Belegung und er eine andere. Das spart Arbeit.“

Den größten Aufwand verursacht die Anpassung der alten mechanischen Teile an die neue Technologie. Da muß extrem genau gearbeitet werden, um die filigrane Holzmechanik auf den digitalen Datenfluß abzustimmen. Die Platten mit den Löchern, die die Luftzufuhr zu den Pfeifen regeln, müssen dazu milimetergenau angepaßt werden – ein Byte kennt keinen Spielraum. Auf den Chip gekommen ist man in St. Johann im Rahmen einer allgemeinen Kirchenrenovierung. Die Gesamtkosten der Erneuerung, etwa zwei Millionen Mark, und der Umbau der Orgel für 400.000 Mark, lassen die 3.500 Mark für die Digitalisierung relativ bescheiden erscheinen. „Trotzdem gab's da auch Leute im Gemeinderat, die waren gegen die neue Technik“, sagt Langosz; „die meinten: Muß das sein und kann man nichts Sinnvolleres machen mit dem Geld?“ Für Langosz lohnt sich der Aufwand: „Es gibt ja auch viel Routine in unserem Beruf, die wird jetzt zumindest vereinfacht.“Aber: „Wenn ich ein großes Konzert spiele, bleibt die Automatik aus.“

Die modernisierte Orgel in St. Johann wird der Öffentlichkeit Ende März vorgestellt. Am 29.3. ist sie in einem Kirchenkonzert erstmals zu hören .

Gunter Becker