Sekte, Schnäppchen, Spekulanten

In Neukölln weht den Scientology-Umwandlern ein schärferer Wind ins Gesicht als zuletzt in Kreuzberg  ■ Von Uwe Rada

Wenn Kirsten Bringel nicht lächelt, stellt sie Fragen. Nach den Wohnverhältnissen, nach individuellen Bedürfnissen und der gewünschten Eigentumswohnung. Wenn Kisten Bringel Fragen stellt, läßt sie einen nicht aus den Augen. In der Zwischenzeit bringt sie die Antworten zu Papier. Akribisch und ohne den Argwohn ihres Gegenübers zu wecken. Kirsten Bringel ist Scientologin und „Verkaufsleiterin“ der Firma Phönix Immobilien. Mietwohnungen als Eigentumswohnungen zu verkaufen, findet sie nicht ehrenrührig. Das sei schließlich üblich und legal. Die Kaufinteressenten finden Kirsten Bringel sympathisch. Erst hinterher stellen sie fest, daß sie mehr von sich preisgegeben haben, als ihnen lieb ist.

Die Phönix Immobilien ist neben den Firmen TCG, HIC, GGB, Brix, Lutz, Erber, Prewa, MetaReal, MegaReal und Transwert eine der Firmen, die dem berüchtigten Sektenkonzern Scientology nahestehen und sich dem Spekulationsgeschäft mit dem Verkauf von Mietwohnungen verschrieben haben. Als Eigentümer treten in Berlin meist der Scientologe Leif Böttcher oder aber Robert Böhm sowie deren Firmen auf. In Hamburg, wo zudem Götz Brase agiert, haben die Sektenumwandler nach Angaben des dortigen Mietervereins bereits 50 Prozent des Umwandlungsmarktes unter Kontrolle.

Daß es in Berlin gar nicht erst so weit kommen darf, ist das Ziel einer Initiative, die sich vor drei Wochen in Neukölln gegründet hat. Während im vergangenen Sommer die Umwandlung mehrerer Kreuzberger Häuser in der Muskauer Straße und in der Falckensteinstraße durch die Firmen GGB und HIC fast lautlos über die Bühne gegangen war, hat das Neuköllner Bündnis die Öffentlichkeit mobilisiert. Bis zu 80 Anrufe täglich gehen bei der Mieterberatungsfirma ASM ein. „Meist sind es Kaufinteressenten oder Mieter, die Rat suchen“, berichtet ASM- Mitarbeiterin Ursula Dyckhoff. „Zunehmend melden sich aber auch skeptische Voreigentümer.“

Neben den Umwandlungen interessiert sich Ursula Dyckhoff auch für die Psychopraktiken der Sekte. „Wer sich wehrt, steigert seinen Preis. Wer klein beigibt, zahlt oft noch drauf“, hat sie festgestellt. 1.500 Mark kostete einer Neuköllnerin die nutzlose Broschüre der von den Umwandlern empfohlenen Firma „Prowofi“. Darin wird Ausländern unter anderem geraten, dem Vermieter gegenüber nur den Geburtsort zu nennen. Jemand, der aus Venedig komme, wecke schließlich „positive gedankliche Verbindungen“, ein Italiener dagegen nicht.

Die Aktivitäten des Bündnisses haben bereits Wirkung gezeigt: Auf der kommenden Maklertagung in Essen will der Ring Deutscher Makler (RDM) einen Unvereinbarkeitsbeschluß mit den schwarzen Schafen herbeiführen. Auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) ging auf Distanz: Scientology, hieß es auf einer Veranstaltung zum Thema „Sicherheit in der Wirtschaft“, habe mit einer Kirche so viel gemeinsam wie die IHK mit der Mafia. Die Wirtschaftsorganisation WISE des Sektenkonzerns, ergänzte die Hamburger Sektenbeauftragte, zeichne sich durch „organisierte Kriminalität, Steuerhinterziehung, Betrug und Konkursverschleppung“ aus.

In den weißgetünchten Räumen der Phönix freilich geht scheinbar alles mit rechten Dingen zu. Nachdem Kirsten Bringel sich die Antworten der Kaufinteressenten notiert hat, gibt sie gerne selbst Auskunft. Sie arbeite zwar für mehrere Eigentümer, habe im Moment aber nur drei leerstehende Wohnungen in der Allerstraße 4 im Angebot. „Eine Supergegend“, schwärmt sie. Schon jetzt rangiere Neukölln unter allen deutschen Stadtteilen laut Stiftung Warentest auf Platz zwei. Vor München, vor Hamburg, vor Charlottenburg. Um so attraktiver scheint ihr Angebot: Eine Dreiraumwohnung im Vorderhaus, 90 Quadratmeter, leer, für 289.000 Mark.

Das Geschäft mit der Umwandlung boomt. Nicht nur bei den Scientologen. Allein um die Neuköllner Schillerpromenade ist bereits jede fünfte Wohnung umgewandelt oder in der Umwandlung begriffen. Auf den Immobilienseiten der Berliner Tageszeitungen haben die Angebote für Eigentumswohnungen längst den Mietwohnungen den Rang abgelaufen. Die Scientology-nahen Firmen fallen dabei vor allem durch „Schnäppchenangebote“ oder den Hinweis „Keine Käufercourtage“ auf. Eine vermietete Wohnung ist „als Kapitalanlage“ schon für 2.000 Mark pro Quadratmeter zu haben, freie Wohnungen sind entsprechend teurer.

„Für uns gibt es drei Sorten Mieter“, doziert in der Schlüterstraße Scientologin Kirsten Bringel. „Die einen ziehen aus, andere kündigen, die letzten bleiben wohnen.“ Damit die Käufer wissen, wie lange letztere bleiben, bekommen sie mitunter auch ein „Mieterprofil“ ausgehändigt. Für etwas mehr als den Preis einer vermieteten Wohnungen werden darin weitere „Schnäppchen“ angepriesen, zum Beispiel, daß die eine Mieterin krebskrank oder die andere bereits 86 Jahre alt ist.

Während sich die Mieter in Neukölln noch mit Händen und Füßen gegen eine Umwandlung wehren, ist in den Kreuzberger Häusern mittlerweile ein Großteil der Wohnungen verkauft. Auch ein schwunghafter Handel mit vermieteten Wohnungen hat inzwischen eingesetzt. Eine Wohnung wurde bereits dreimal verkauft. Andere Eigentümer, wie ein Imbißbesitzer am Lausitzer Platz oder die Firma Convest aus München, haben sich bereits mehrere Wohnungen unter den Nagel gerissen und hoffen nun, sie mit Gewinn weiterverkaufen zu können. Hinzu kommt, daß ein Teil der Mieter die „Auszugsprämie“ von bis zu 50.000 Mark angenommen und gekündigt hat. Doch nicht immer bleibt das Schmiergeld in den Händen der Mieter. Von den 30.000 Mark, die eine Mieterin für ihre Kündigung bekommen hat, ging die Hälfte wiederum als Bakschisch beim neuen Vermieter über den Tisch. Den wiederum hatten, wie sollte es anders sein, die Scientology-Umwandler empfohlen.

Die Kreuzberger Hoffnungen ruhen nun auf Neukölln. Daß den Umwandlern rund um die Schillerpromenade und östlich des Kottbusser Damms ein anderer Wind ins Gesicht bläst als am Lausitzer Platz, ist auch Phönix-Verkaufsleiterin Kirsten Bringel nicht entgangen. Man solle sich von den Transparenten in der Allerstraße nicht beeindrucken lassen, rät sie ihren Kaufinteressenten beim Vorab- Termin in der Schlüterstraße. Schuld an diesem „türkischen Basar“ sei allein der Mieterverein, der – ganz zu Unrecht natürlich – die Mieter aufgestachelt habe.