Die „Sorge“ sitzt direkt im Kopf

Im Literaturhaus findet noch bis Freitag die „Woche des Autorenhörspiels“ statt  ■ Von Christine Nagel

Von 1976 bis 1986 war das Berliner Hörspiel jährlich in den Kiez gegangen. Jetzt wurde die Idee wiederbelebt – die OrganisatorInnen von einst, Mitglieder der Autorengruppe „Ohrenweide“ der Neuen Gesellschaft für Literatur, erinnerten sich an erfolgreiche Diskussionen über themenzentrierte Hörspielpräsentationen. Das neue Konzept baut verstärkt auf Publikumsgespräche, was an den ersten beiden Abenden auch gut genutzt wurde.

Sechs Produktionen werden während der „Woche des Autorenhörspiels“ vorgestellt, bei denen die AutorInnen auch Regie geführt haben. Die Auswahl traf eine Jury von HörspielkritikerInnen, der Veranstaltungsort ist diesmal das Literaturhaus – nicht zuletzt aufgrund der kostenlos möglichen Raumnutzung und der finanziellen Unterstützung. Die Stiftung Kulturfonds und der Senat sponserten den Rest.

Hörspiele entstehen in öffentlich-rechtlichen Anstalten in relativ kurzer Zeit. Die Produktion dauert selten länger als zwei Wochen. In den Nachkriegsjahren wurden bundesdeutsche AutorInnen nicht selten durch ihre Hörspieltätigkeit entdeckt und gefördert, so zum Beispiel Ingeborg Bachmann, Günter Grass oder Heinrich Böll. Geld verdienen läßt sich mit Hörspielen nur wenig, wer literarische Texte für den Rundfunk schreibt, verfaßt nebenbei meist auch Drehbücher, arbeitet journalistisch oder fährt Taxi.

Den Manuskript-AutorInnen ist mit der technischen Entwicklung möglicherweise eine Konkurrenz erwachsen: Seit sich der heimische Personalcomputer mit relativ kostengünstiger Software bestücken läßt, läßt er sich für akustische Bearbeitungen eigener Aufnahmen nutzen. Die sogenannten „AutorenhörspielerInnen“ können dadurch die meiste Zeit unabhängig von den Sendestudios arbeiten, weswegen sie bei der Produktion auch nicht unter Termindruck stehen. Die Sendeanstalt tritt nur noch als Auftraggeberin auf, bietet Studios zur Endmontage und bezahlt die SprecherInnen.

„Gekaufte“ Autorenhörspiele sind allerdings die Ausnahme im Radioprogramm. Denn die RegisseurInnen der Sendeanstalten haben ihren berechtigten Anspruch auf Beschäftigung. Die Veranstaltungsreihe im Literaturhaus will auch dieses Dilemma zur Sprache bringen und tut das praktisch, indem kontroverse Beispiele und ihre AutorInnen vorgestellt werden. Die Frage, die sich stellt, ist: Sind die individuell produzierten Hörspiele besser als die öffentlich- rechtlichen?

Hundegebell zu „Freischütz“-Takten

Ein ungewöhnlicher Autorenhörspieler ist Wolfgang Röhrer. Heute abend ist „Fauste“ zu hören – eine „Tonmonade“, die den Schlußakt von Goethes „Faust II“ zur Textgrundlage hat. Die Vorarbeiten erstreckten sich über mehr als ein Jahr: für einige Sequenzen zog Röhrer mehrmals im Sommer in den Schwarzwald, bis er die passende Atmosphäre auf Band hatte. In monatelanger Arbeit sampelte er etwa 30 verschiedene Arten von Hundegebell, die nach einer Melodie aus dem „Freischütz“ vom Keyboard abgespielt wurden.

Das Ergebnis sollte man sich mit Kopfhörern anhören: die Klänge schweben, haben räumliche Tiefe. Eine weibliche Stimme (die „Sorge“) scheint einem direkt im Kopf zu sitzen, flüsternd flattert sie durch den akustischen Raum. Vergleichbar dem Sog von Musik, spricht Röhrer das Empfinden des Hörers an. Die Klänge ziehen einen ins Phantasiegeschehen hinein. Die Atmosphäre wird hier als Grundlage der mystischen Welt des „Faust“ geradezu narrativ eingesetzt.

Leider sind dem Autor als Regisseur die Sprachaufnahmen gänzlich mißlungen. Dabei liehen Schauspieler wie Bruno Ganz, Herbert Fritsch und Peter Matić ihre Stimme. Der Regisseur Röhrer konnte sich nicht entscheiden, ob er die Worte vom heutigen Standpunkt aus auf ihren 200 Jahre alten Sinngehalt befragen lassen oder ob er Goethes Verse überhöhen und als Illustration einsetzen wollte. Insgesamt eine fremdartige Angelegenheit, deren mühevolle und kleinteilige Arbeitsweise immerhin verdienstvoll ist.

Hörspiele allein mit Originaltönen zu produzieren, war schon immer eine Arbeitsform, bei der Autorschaft und Regie zusammenfielen. Renke Korn ist als solcher „freischaffender“ Autor kein Unbekannter. Gestern wurde „Warum schreit das Kind der weißen Frau so viel?“ vorgestellt. O- Ton-Produktionen sind kostengünstig: Mit dem Aufnahmegerät besuchte Korn Monika A., zeichnete ein vierstündiges Gespräch auf und schnitt es in einer Sendeanstalt zu einer dichten Erzählung. Die Stimme ist pur belassen, einzig Musikakzente strukturieren die Lebensgeschichte von Monika A., die mit einem Singhalesen verheiratet ist und den Vorwurf ihrer Kinder ertragen muß, sie selbst sei nicht frei von kulturellem Hochmut. In der Konkretheit der Schilderung bekommen Themen wie Fremdenhaß und interkulturelle Ehe alltägliche Beziehungspunkte.

Der Veranstaltungsreihe ist Kontinuität zu wünschen. Der Dialog zwischen noch unbekannten AutorInnen, Hörspielabteilungen und dem Publikum wird dem Hörspiel als Kunstform guttun.

Heute, 20 Uhr: „Fauste“ von Wolfgang Röhrer; morgen, 20 Uhr: „Begegnung so wie ein Tag ...“ von Wolfgang S.Graubarth und David Tosco sowie 21.30 Uhr „Sächsische Sinfonie“ von Karl- Heinz Schmidt-Lauzemis und Ralph Oehme, Literaturhaus, Fasanenstraße 23, Charlottenburg.