Das Kopftuch wird zum Fallstrick

In den Schulen hat man sich an den Anblick kopftuchtragender Musliminnen beinahe gewöhnt, aber beim Übergang in die Arbeitswelt wird das kleine Stück Stoff zu einer selbst auferlegten Fessel  ■ Aus Berlin Vera Gaserow

„Das Kopftuch? Das ist ein Teil von mir.“ Aynur sagt dies mit einer Bestimmtheit, die keinen Widerspruch duldet. Seit einigen Jahren verdeckt die Siebzehnjährige ihr Haar und hat, so sagt sie, „nie Probleme damit gehabt“. Anfangs war Aynur die einzige in der Klasse, die sich demonstrativ zum Islam bekannte. Später konnte sie sich in ständig wachsender Gesellschaft fühlen. Doch was im Schonraum Schule als selbstverständlich toleriert wurde, kostet jetzt einen hohen Preis. Das Kopftuch wird für Aynur und ihre Altersgenossinnen zum Fallstrick für die berufliche Zukunft und das weitere Leben.

Aynur macht einen einjährigen Grundausbildungslehrgang als Arzthelferin – dem unangefochtenen „Traumberuf“ türkischer Mädchen. Doch schon während des Lehrgangs drohte dieser Traum zu zerplatzen: Sie Suche nach dem obligatorischen Praktikumsplatz wurde zum Hindernislauf. Leider keine Stelle frei, beschieden die Arztpraxen. Als kurz danach Aynurs Freundin vorsprach, ohne Kopftuch, war noch ein Praktikumsplatz frei.

Für Hatice A., Sozialarbeiterin im Berliner Immigrantinnenprojekt „Akarsu“, bei dem Aynur ihren Lehrgang absolviert, ein Problem, an dem sie resignieren könnte: „Anfangs waren es vielleicht ein, zwei Mädchen, die das Kopftuch trugen. Heute ist es fast ein Drittel unserer Kursteilnehmerinnen. Das sind sehr sebstbewußte, intelligente Mädchen mit guten Schulabschlüssen. Da tut es weh, zu sehen, wie die sich ihre beruflichen Chancen verderben und dadurch ihre Selbständigkeit aufgeben.“ Praktikumsplätze für die angehenden Arzthelferinnen und Krankenschwestern sind schwer zu finden, und wenn es um einen richtigen Ausbildungsplatz geht, sinken die Chancen für die „Kopftuchmädchen“ gegen Null. Fast alle Krankenhäuser lehnen eine Beschäftigung ab – einerseits weil sie mit Vorbehalten der Patienten rechnen, andererseits weil sie – nicht zu Unrecht – fürchten, die jungen Frauen könnten aus religiösen Gründen bestimmte Tätigkeiten verweigern. Auch aus den Arztpraxen heißt es: „Bloß kein Mädchen mit Kopftuch.“ Selbst muslimische ÄrztInnen wehren ab – mit Blick auf skeptische PatientInnen, aber auch aus politischer Überzeugung. Sie wollen fundamentalistischen Tendenzen unter den eigenen Landsleuten keinen Vorschub leisten.

Aynurs Eltern haben sie gedrängt, für die Ausbildung das Kopftuch abzunehmen. Aber die Siebzehnjährige hat ihren eigenen Willen: Lieber will sie auf den Beruf verzichten als auf die Religion. Ayten, ihre Mitschülerin, möchte beides und lebt damit in ständigem Konflikt. „Ich weiß nicht, welchen Weg ich gehen soll. Ich will meine Religion behalten, aber auch meinen Job.“ Und wenn beides nicht geht? „Dann ist mir der Beruf wichtiger. Ich hab' doch nicht zehn Jahre gearbeitet und gelernt, um am Band zu arbeiten oder als Reinigungskraft wie meine Mutter!“ Also schließt Ayten ihre kleinen Kompromisse: Auf den Paßbildern für die Bewerbungsunterlagen zeigt sie sich mit offenem Haar, auf dem Weg zum Praktikumsplatz lockert sie den Knoten unter dem Kinn, und bis sie ankommt, ist das Kopftuch in der Handtasche verschwunden. Manchmal lacht die Neunzehnjährige über dieses Versteckspiel, „aber eigentlich“, findet sie, „ist das ja nicht ganz in Ordnung“. Ayten fühlt sich zerrissen „so innendrin“.

Sie trägt das Kopftuch erst seit September, seitdem sie angefangen hat, im Koran zu lesen. Aber „so hundertprozentig“ überzeugt ist sie nicht. Mit ihren Freundinnen im Minirock versteht sie sich immer noch besser als mit denen, „die Kopftuch tragen und dann doch heimlich Jungens anrufen“. Und manchmal schlüpft sie wieder in die engen Jeans, schminkt sich und zieht auf eine Fete – mit schlechtem Gewissen allerdings. Aytens Freund hat mit ihr Schluß gemacht, als sie das Kopftuch umband. „Wenn ich mich noch mehr auf die Religion einlasse“, meint Ayten, „dann kann ich auch noch meinen Job vergessen.“

„Angesichts der miserablen Ausbildungssituation können sich die Betriebe ihre BewerberInnen ohnehin schon backen“, meint Ingrid Döring, Abteilungsleiterin der Berufsberatung im Arbeitsamt Kreuzberg, „da ist das Kopftuch ein doppeltes Handicap. Es gibt ganze Berufsgruppen, da haben diese Mädchen keine Chance.“ Eine „Mischung aus einigen objektiven Gründen, gepaart mit jeder Menge subjektiver Einstellungen“ beobachtet die Berufsberaterin, „das Kopftuch wirkt als Signal. Die Arbeitgeber fürchten, die Familie der Mädchen könnte bei allen Gelegenheiten kontrollierend auf der Matte stehen.“

BerufsberaterInnen, AusbilderInnen und LehrerInnen stehen hilflos vor diesem Problem, das mit jeder Schulabgangsklasse drängender wird. „Wir sprechen das Thema an, aber wir können den Mädchen nicht raten, das Kopftuch abzunehmen. Wir können sie ja nicht aus ihrem sozialen und familiären Umfeld herausreißen“, beschreibt Ingrid Döring das Dilemma. Beim Ausbildungsprojekt Akarsu versuchen die Mitarbeiterinnen, das Problem auf Elternabenden „wenigstens bewußt zu machen“. Einige Eltern stimmen dann Kompromissen zu. Doch in anderen, streng religiösen Familien ist der Druck so groß, daß die Mädchen entweder zu heimlichen Verkleidungskünstlerinnen werden oder auf eine Zukunft ohne großartige Alternativen warten: Ehe- oder Putzfrau plus Rückzug ins eigene familiäre und nationale Milieu.

Hin und wieder jedoch trifft man auch auf Ausnahmen wie diese: „Wir haben mit dem Kopftuch kein Problem“, heißt es im Ausbildungszentrum der Berliner Bank, „Berlin ist ja kein Dorf, sondern eine tolerante Großstadt.“ Bewerberinnen mit Kopftuch würden sogar begrüßt und in Bezirken mit einem hohen Anteil nicht- deutscher Bevölkerung eingesetzt. „Wir zeigen dadurch, daß unser Unternehmen keine Vorurteile hat“, sagt Ausbildungsreferentin Hannelore Olschewski, „außerdem müssen wir ja auf die Wünsche unserer Kundschaft eingehen, und gerade viele männliche Kunden sehen es gern, wenn hinter dem Schalter eine Frau mit Kopftuch steht.“ Da weiß frau dann schon nicht mehr, ob sie sich über diese großstädtische Toleranz wirklich freuen soll.