Ost-PendlerInnen verdrängen WestlerInnen

■ Strukturwandel grenzt schwächer Qualifizierte und AusländerInnen weiter aus

Eine Arbeitslosenquote von 12,3 Prozent im Osten und 14,3 Prozent im Westen, darunter eine Quote von 24,7 Prozent bei den AusländerInnen – die Zahlen des Landesarbeitsamtes belegen einen Strukturwandel in der Stadt. Vor allem schwächer Qualifizierte und AusländerInnen werden vom Arbeitsmarkt verdrängt. Der Trend zeigt sich einerseits in der steigenden Zahl von „PendlerInnen“ aus dem Ostteil und dem Umland in den Westteil der Stadt. Andererseits gehen aufgrund der gestrichenen Berlin-Förderung im Westteil immer mehr „Einfach-Jobs“ für Angelernte verloren.

Der einseitige PendlerInnenstrom habe sich „kontinuierlich aufgebaut“, berichtet Dieter Fitzner, Referatsleiter Statistik im Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg. Ende Dezember 1991 waren nur etwa 112.000 ArbeitnehmerInnen allmorgendlich in den Westteil der Stadt „eingependelt“. 76.000 davon kamen aus Ostberlin, der Rest aus dem Umland. Im Juni 1994 war die Zahl auf etwa 176.000 gestiegen, 128.000 davon kamen aus Ostberlin. Zum Vergleich: Aus dem Westen pendelten im Juni 1993 nur 13.000 Beschäftigte in den Ostteil der Stadt.

Die einpendelnden FacharbeiterInnen und Angestellten besetzen zwar teilweise neu entstandene Arbeitsplätze vor allem in der Dienstleistung, verdrängen aber auch schlechter qualifizierte Kräfte in der Industrie vom Markt. Insgesamt nämlich ist die Zahl der Jobs in beiden Stadthälften gesunken, es gibt also nichts mehr zu verteilen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Westen hat sich von 881.000 im März 1992 auf 858.000 im Juni 1994 vermindert. Im verarbeitenden Gewerbe gingen 40.000 Jobs verloren. Auch im Osten ist die Zahl der Stellen von 495.600 im März 1992 auf 431.000 im Juni 1994 gefallen. Gleichzeitig aber entwickelte sich der gegenläufige Ost-West-Trend bei den Erwerbslosen. Die Arbeitslosenquote im Osten sank von 17,2 Prozent im Januar 1992 auf derzeit 12,3 Prozent. Im Westen stieg die Quote von 10,7 auf heute 14,3 Prozent.

Die verdeckte Arbeitslosigkeit ist im Osten allerdings viel gravierender. Ohne Entlastung durch Arbeitsmarkt-Instrumente würde sie in den Ostbezirken nach ExpertInnenangaben um 50 Prozent höher sein, in Westberlin um zehn Prozent. Das eigentliche Arbeitsplatzdefizit in Ostberlin beträgt rund 150.000 Stellen. Das sind die 76.200 Arbeitslose und diejenigen, die Arbeitsmarkt-Instrumente nutzen plus Kurzarbeiter. Von den 95.400 BerlinerInnen, die arbeitsmarktpolitische Instrumente in Anspruch nehmen, kamen im Februar 75.600 aus dem Osten. Seit längerem fordert der Senat eine Gleichbehandlung der Stadtteile bei den Förderrichtlinien.

Vor allem an der erneut gestiegenen Arbeitslosenquote bei den AusländerInnen im Westen läßt sich der Strukturwandel ablesen. Beispiel Siemens: Bei dem Unternehmen und seinen Tochterbetrieben in Berlin waren im Jahre 1989 23.300 MitarbeiterInnen beschäftigt. Der AusländerInnenanteil lagt bei 4.700, also 20,3 Prozent.

Im September 1994 war die AusländerInnen-Quote bei insgesamt 22.200 MitarbeiterInnenn auf 3.000, also 13,5 Prozent gesunken. „Es ist eine Frage der Qualifikation“, meint Ilona Thede, Sprecherin bei Siemens. „AusländerInnen sind oftmals nicht so gut qualifiziert wie die FacharbeiterInnen aus dem Ostteil. Und die manuellen Einfachtätigkeiten bei uns fallen allmählich weg. Wir konzentrieren uns auf Hochtechnologien.“ Ergebnis: Im Februar waren von den Arbeitslosen im Westen 62,8 Prozent AusländerInnen gegenüber 51,4 Prozent in den Ostbezirken. Jede vierte Westberliner AusländerIn hat keinen Job.

Andere Sprachmilieus und Lerntraditionen, vor allem bei den ausländischen Frauen, erschwerten den Anschluß im Wettbewerb um die neuen Jobs, erklärt die Ausländerbeauftragte des Senats, Barbara John. Der Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt bringt daher auch einen sozialen Strukturwandel mit sich, und der ist nicht zu begrüßen. Barbara John: „Die Folge ist, daß mit dem Wegfall der von AusländerInnen besetzten Arbeitsplätze die Integration zum Stillstand kommt.“ Barbara Dribbusch