Spanien rätselt, wer wann wen betrogen hat

■ Die Umstände, unter denen der Ex-Chef der Guardia Civil verhaftet wurde, bringen Spaniens Innenminister und Regierung an den Rand des Rücktritts

Madrid (taz) – Nur vier Tage nach der Überstellung des ehemaligen Chefs der spanischen Guardia Civil, Luis Roldán, nach Spanien, steht Innen- und Justizminister Juan Alberto Belloch kurz vor dem Rücktritt. Um 70 Millionen Mark soll sich Luis Roldán bereichert haben, sein Name steht fast synonym für die Korruptionsskandale der Regierung Felipe González. Nachdem er sich vor zehn Monaten durch Flucht den Ermittlungen entzogen hatte, wurde er am Montag von zwei laotischen Polizeibeamten auf dem Flughafen in Bangkok an fünf spanische Kollegen übergeben und nach Madrid überstellt. Und um das zu erreichen, so hatte Innenminister Belloch stolz verkündet, habe es weder Geheimverhandlungen mit Roldán noch irgendwelche Abmachungen mit der Volksrepublik Laos gegeben.

Noch am selben Abend stürzte die offizielle Version zusammen wie ein Kartenhaus. Die Tageszeitung El Mundo präsentierte verschiedene Faxe mit dem Briefkopf des laotischen Justizministers – offizielle, konditionierte Auslieferungsangebote. Luis Roldán habe sich freiwillig gestellt, hieß es in den auf französisch abgefaßten Schreiben, und gegen ihn dürfe nur wegen zwei der insgesamt sieben Delikte ermittelt werden. Spanien akzeptierte – und so drohte Roldán nur noch eine Höchststrafe von 12 anstatt 60 Jahren. Als Innenminister Belloch kleinlaut die Abmachung mit Laos bestätigen mußte, wurde der Verdacht eines geheimen Deals immer lauter, mit dem sich die Regierung das Schweigen des Ex-Guardia-Civil- Chefs erkaufen wollte.

Durch solcherlei Ungereimtheiten aufgeschreckt, ließen Presse und Opposition nicht mehr locker. Vor zwei Tagen platzte dann die Bombe. Francisco Alvarez Casco, Generalsekretär der Oppositionspartei Partido Popular, trat an die Öffentlichkeit: „Die Texte stammen aus der Feder eines Spaniers.“ Grammatikfehler und wörtlich aus dem Spanischen übersetzte Redewendungen in den angeblich aus Laos stammenden Auslieferungsangeboten dienten als Beweis. Das zuständige laotische Ministerium bestätigte: Unterschrift und Stempel stammten nicht von dort. Luis Roldán habe sich nie in Laos aufgehalten, die zwei Polizeibeamten auf dem Flughafen in Bangkok seien völlig unbekannt.

Hat nun die spanische Polizei Luis Roldán an der Nase herumgeführt, oder hat vielmehr dieser, mit Hilfe internationaler Fluchtorganisationen, die Regierung getäuscht? Oder hat der militärische Geheimdienst Cesid einmal mehr die Polizei ausgetrickst? Der Cesid war bereits vor zwei Monaten in die Schlagzeilen geraten, als bekannt wurde, daß man die an der Fahndung nach Roldán beteiligten Beamten abhören ließ. Wie auch immer: Jede einzelne Variante bietet Rücktrittsgründe genug für den Innenminister.

Währenddessen streitet man sich über die Folgen. Sollte die Fälschung aus der Feder der Regierung stammen, handelt es sich um eine illegale Verhaftung. Dann müßte der Angeklagte nach der spanischen Verfassung sofort auf freien Fuß gesetzt werden. Hat Roldán die Papiere allerdings selbst gefälscht, dann wäre er de facto freiwillig nach Spanien zurückgekehrt und könnte ohne Einschränkungen abgeurteilt werden. Reiner Wandler