Sanssouci
: Nachschlag

■ Größter Andrang bei der neuen Reihe der philosophischen praxis in der Brotfabrik: „stadt/heute“

Stadt gestern: Abriß der Passagen in der Friedrichstraße, im Hintergrund die Figur auf dem Französischen Dom Foto: Rolf Zöllner

Als die drei Philosophen Stefan Münker, Alexander Roesler und Knut Sprenger vor einem halben Jahr ihre sogenannte philosophische praxis eröffneten, schien das Projekt doch ziemlich riskant. Daß ein Unternehmen, das einzig und allein Philosophie im Angebot hat, auf dem Markt Fuß fassen kann, daran wollte damals keiner so recht glauben. Mittlerweile jedoch ist die bange Frage, ob man Abnehmer für dieses ungewöhnliche Produkt finden werde, endgültig vom Tisch: Die philosophische praxis hat in Berlin wie eine Bombe eingeschlagen. Denn nicht genug damit, daß mittlerweile fette Wirtschaftsunternehmen die Hände nach ihnen ausstrecken und philosophische Beratung wünschen; als das Philosophen-Trio vergangenen Dienstag seine zweite Veranstaltungsreihe – diesmal zum Thema „stadt/heute“ – in der Brotfabrik eröffnete, rannte ihm das Publikum regelrecht die Türe ein.

Philosophie als Marktlücke? Nein, verwunderlich ist das nicht, wenn man die drei Philosophen bei der Arbeit betrachtet. Denn so, wie sie Philosophie betreiben, macht sie tatsächlich ungemein Spaß. Jeder sollte im Grunde philosophieren, meinen sie und verstehen ihre Veranstaltungen als eine Art Anleitung dazu. Learning by doing heißt ihr Rezept, und das Publikum quittiert es, indem es begeistert mitmacht. Im Anschluß an den Vortrag von Roesler zum Thema „Die Stadt als Denkraum“ debattierten die Anwesenden denn auch heftig darüber, ob und inwiefern eigentlich die Stadt der einzig mögliche Ort sei, an dem man wirklich philosophieren kann. Das Publikum schlug sich am Ende unisono auf die Seite des Städters Sokrates, der einst klar die Meinung vertrat, daß man eigentlich nur in der Stadt – er meinte damals freilich Athen und nicht Berlin – wirklich philosophieren könne. Sein einleuchtendes Argument war, daß man nicht allein, sondern bloß im Gespräch mit anderen Menschen denken kann. Daß der vielleicht bedeutendste Philosoph dieses Jahrhunderts, Martin Heidegger, der Ansicht war, daß er den Dingen nur in der Einsamkeit seiner Schwarzwaldhütte auf den Grund kommt, wenn er schweigend im Herrgottswinkel sitzt und Pfeife raucht, während draußen der Wind um die Hütte pfeift, wollte den Stadtfans partout nicht einleuchten.

Als es aber dann darum ging, genau zu bestimmen, was man denn nun unter dem Begriff der Stadt verstehe, wurde schnell klar, daß es einen solchen einheitlichen Begriff eigentlich nicht mehr gibt. Denn die traditionellen Bestimmungen der Stadt wie etwa Gemeinschaft und Öffentlichkeit haben sich längst in die Datennetze der Telekommunikation und des Fernsehens aufgelöst. Niemand muß heute mehr unmittelbar in der Stadt leben, um städtisch leben zu können. Selbst vom Herrgottswinkel aus kann man sich mittlerweile mit der ganzen Welt verschalten und überall dabeisein. Die Stadt ist überall und nirgendwo mehr, lautete darum auch das Credo der philosophischen praxis, die noch mit vier weiteren Veranstaltungen dieser Auflösung des Begriffs der Stadt in der Computermoderne nachgehen will. Also: Hingehen und auch mal philosophieren! Mitten in der Stadt – über die Stadt. Andrea Kern

Stadtvorstellung – Modell von Hans Kolhof für den Potsdamer Platz Foto: Norbert Michalke

Die philosophische praxis hat wieder geöffnet am 14. 3. zum Thema „Inszenierung der Möglichkeit“; am 28. 3. zum Thema „Verschiebung und Geschichte“; am 11. 4. zum Thema „Austausch und Gabe“; am 25. 4. zum Thema „Die Idee der Polis“. Jeweils um 20 Uhr in der Brotfabrik, Prenzlauer Promenade 3, Pankow.