Kaffeehaus oder Sie streiten alle

■ Vom Wiener Geist und dem Bombenmord an vier Roma im Burgenland

Julius Deutsch, ein führender österreichischer Sozialdemokrat aus den zwanziger Jahren, der später zum Kommandeur der Parteiarmee „Republikanischer Schutzbund“ avancierte, berichtete aus den Anfangsjahren unseres Säkulums: Damals „trafen sich am Abend in einem rückwärtigen Raum des Café Central sozialistische Schriftsteller, darunter Karl Renner, Otto Bauer, Max Adler“. Auch Leo Trotzki, damals Exilant, zählte zu den Habitués des „legendenumwobenen Treffpunkts Wiener Intellektueller. Trotzki war so sehr Stammgast und als solcher bekannt, daß einmal ein österreichischer Minister, über die Aussichten einer Revolution im zaristischen Rußland befragt, spöttisch erwiderte: ,Revolution in Rußland? Wer sollte sie denn machen? Vielleicht der Herr Bronstein aus dem Café Central? ...‘“

Über den Zusammenhang von Kunst, Kaffeehaus, Intelligenz und Rebellion wurde – in Wien zumal – schon viel gesagt und oft gestritten. Und weil Österreich gerade einen gar trostlosen Winter erlebt, kommen auch die Herren und Damen des Wortes aus den verrauchten Stuben ins Gerede.

Denn rechtsextreme Terroristen, die zuletzt vier Roma im burgenländischen Oberwart ermordeten, bomben die Republik in Angst und Schrecken; und daß Jörg Haider bei den Wahlen im Oktober beinahe ein Viertel der abgegebenen Stimmen gewinnen konnte, löste eine Schreckstarre aus, von der sich Österreichs „ambulante Intellektuelle“ – wie sie Hugo von Hofmannsthal in Abgrenzung zu den stationären Intellektuellen (letztere verfügen über ein Büro) genannt hatte – kaum noch erholen konnten. Wie auch? Ging man doch lange Jahre „ein Stück des Weges“ mit einer Sozialdemokratie, die heute mit gespenstisch anmutender Sicherheit die Abzweigung Richtung Untergang eingeschlagen hat.

Nun hat die Vize-Chefredakteurin der angesehenen Stadtzeitschrift Falter zu einer Polemik ausgeholt, gegen die die kolportierten Stänkereien des einstigen kaiserlichen Ministers verblassen: Ein Geflüster gehe „durch Österreichs Kaffeehaus-Linke, daß sich die Tischtücher vom Marmor-Rund heben und die Silbertabletts scheppern“, schreibt Autorin Doris Knecht. Zynisch, verstört und wohlstandsverdummt würden die „Künstler, Intellektuellen und Philosophen“ mit einer Machtübernahme Jörg Haiders liebäugeln, da man glaube, diese a) nicht mehr verhindern zu können, und man b) dann wenigstens wieder in eine „Dissidenz“ zurückgeworfen würde, in der man die gegenwärtige Orientierungslosigkeit durch oppositionelle Selbstvergewisserung gegenüber dem maximalen Feind in Person des minimo lider der „Freiheitlichen“ vertauschen könne. Das konnte ihr der Herr Hoffmann-Ostenhof aus dem Café Lapinsky nicht durchgehen lassen. In seiner Funktion als Kommentator des Magazins profil geißelte er die von der Falter-Frau aufgeschriebenen Beobachtungen, weil er sie – trotz häufigen Besuchs der einschlägigen Etablissements – nicht bestätigen konnte; und verortete – ganz Apologet der höchsten Institution urbanen Geisteslebens, eben des Kaffeehauses – in der Feinderklärung gegen die „Kaffeehaus-Linke“ antiaufklärerische Reflexe sowie ein tiefes antistädtisches und antiintellektuelles Ressentiment.

Heftiger noch geriet die Dramatikerin Elfriede Jelinek in Rage, die – diesmal in der Tageszeitung Der Standard – kundtat, sie wolle sich nunmehr „nicht länger auf den Kopf scheißen lassen. Von einer Journalistin zum Beispiel, die im Falter über eine sogenannte ,Kaffeehauslinke‘ daherschwatzt.“ Denn gegen Verhaiderung und Rechtsterror habe sie, genauso wie „viele meiner Kolleginnen und Kollegen“, ihr Leben lang angeschrieben. Vor allem aber stellte sich die Dichterin vor den Theaterdirektor Claus Peymann, der das Schweigen der Intellektuellen durchbrochen, die Reaktion des „offiziellen Österreich“ auf die Oberwarter Morde beim Namen und folglich skandalös geheißen hatte und gerade deshalb arg zerzaust worden war. Jelineks „J'accuse“ galt deshalb nicht nur der Falter-Journalistin, nicht nur dem Innenminister, der Ausländer drangsalieren, Neonazis aber bloß von unfähigen Fahndern suchen läßt, sondern vor allem dem Sozialminister, der Claus Peymann nachrotzte, er hätte „den Boden der Normalität verlassen“ und möge „aus Österreich ausreisen“.

Der Streit, ob nun die Kaffeehaus-Linke vor dem Aufstieg Jörg Haiders kapituliere oder, im Gegenteil, Bollwerk gegen dessen weiteren Erfolg sei, ob die Wiener Intellektuellen nun eine Antwort auf den rechten Bombenterror hätten oder aber angesichts der Barbarei im Lande verstummten, darüber hätte sich noch lange trefflich streiten lassen, hätte, ja hätte der Sozialminister in seiner Replik auf Claus Peymann nicht kryptisch hinzugefügt, ihm wäre „der Kragen geplatzt und manches andere mehr“.

Nun fragt sich „Tout Vienne“: Was ist dem Herrn Minister Hesoun noch geplatzt? Robert Misik