„Nach Karneval ist uns nicht zumute“

Seit zwei Wochen suchen Bergarbeiterfrauen „Zuflucht“ in der Christuskirche / Sie protestieren gegen die Bonner Kohlepolitik und erhalten dabei Rückendeckung vom Pfarrer  ■ Aus Kamp-Lintfort Walter Jakobs

Die Kaffeetafel steht direkt vor dem Altar. Schlichte Holztische auf Marmorgrund, dampfender Kaffee unter dem Christuskreuz, überall Plakate und Parolen, so präsentiert sich die Christuskirche in Kamp-Lintfort nun schon seit über zwei Wochen. An diesem Montagnachmittag sitzen etwa zwanzig Frauen am Tisch. Während zur gleichen Stunde überall im Rheinland Millionen Jecken ausgelassen Karneval feiern, herrscht in der Kirche eine gedrückte Stimmung. „Nein, nach Karneval feiern ist uns nun wirklich nicht zumute“, sagt Elke Weiler vom Bezirksfrauenausschuß der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (IGBE). Die bei der Ruhrkohle beschäftigte Angestellte gehört zu den fünfundzwanzig Frauen, die seit dem Sonntags- Gottesdienst vom 12. Februar in der Kirche ausharren – in Sechsstundenschichten rund um die Uhr. Sie suchen im evangelischen Gotteshaus demonstrativ „Zuflucht“, und die gewährt ihnen Pastor Theodor Münzenberg gern: „Für Menschen, die Zuflucht in der Not suchen, ist die Kirche nun einmal da.“ Noch leiden die Frauen und ihre Familien zwar keine Not, aber die Diskussion über die Zukunft des Steinkohlebergbaus läßt sie Schlimmes befürchten. Die 42.000-Einwohner- Stadt am Niederrhein tickt ganz im Takt des Bergbaus, der hier 5.300 Menschen beschäftigt. Die Zeche „Friedrich Heinrich“ liegt nur ein paar hundert Meter von der Christuskirche entfernt. Insgesamt hängen rund 60 Prozent der Arbeitsplätze in der Stadt vom Bergbau ab. Kein Wunder, daß die überall angebrachten Solidaritätsbekundungen von den Gewerbetreibenden bis zu den Kindergärten reichen. Nach den vielen Demonstrationen und Warnstreiks ihrer Männer wollen die Frauen ein „eigenes Zeichen“ setzen, um die Politiker in Bonn auf die bedrohliche Lage des Bergbaus hinzuweisen. Wenn bei den in den nächsten Tagen und Wochen anberaumten Gesprächen in Bonn keine Lösung über die Steinkohlefinanzierung gefunden wird, „dann bleiben wir bis zum Marsch auf Bonn hier“, sagt Elke Weiler. Den plant die Gewerkschaft für Mitte April. Sollte die Bonner Regierung den Streit über die Kokskohlenbeihilfe – etwa 3 Milliarden Mark im Jahr – und das Gerangel um die Finanzierung der erst im letzten Jahr per Gesetz zugesagten Verstromungsbeihilfen von 7,5 Milliarden Mark für das Jahr 1996 und dann jeweils 7 Milliarden Mark bis zum Jahr 2000 nicht beigelegt haben, will die IGBE mit einer Mobilisierungsoffensive vor allem die FDP zum Einlenken zwingen. Angesichts des Bonner Gerangels um die Kohle kommt den Frauen nur noch die Galle hoch. Der Vertrauensverlust in die Politik scheint grenzenlos. Monika Nuß bringt die Stimmung so auf den Punkt: „Wir predigen unseren Kindern, was man verspricht, muß man auch halten, während die Politiker sich um ihre Versprechen nicht scheren. Da ist doch irgend etwas faul in diesem Staat.“ Sie sind das ewige Hin und Her um die Kohlesubventionen endgültig leid, schlafen, essen, weinen und singen in der Kirche, um die „weitere Existenz des heimischen Bergbaus zu sichern“. Von einer Politik des schrittweisen Ausstiegs aus der Kohle bei gleichzeitigem Aufbau neuer Beschäftigungsfelder, die die Düsseldorfer Grünen propagieren, erwarten sie nichts. Den Grünen werfen sie vor, „vollkommen blauäugig“ zu sein. „Wenn man die Grünen fragt, wo die neuen Arbeitsplätze für die Bergleute denn entstehen sollen, kommt von denen doch nichts“, ärgert sich Elke Weiler. „Schauen Sie doch mal nach Rheinhausen“, ergänzt Monika Nuß, „denn dort wurden den Stahlarbeitern doch auch Ersatzarbeitsplätze versprochen und geschehen ist fast nichts.“ Nein, ohne den Bergbau sehen sie „keine Perspektive“, und deshalb machen sie weiter, „weil sich dann vielleicht mal wieder jemand um uns kümmert“. Auf Pastor Münzenberg, der sich sein Studium einst als Bergmann finanzierte, können sie bauen: „Ich werd' sie nicht rausschmeißen.“