Großes Schiff auf kleiner Fahrt

Einmal mehr wurde die Ems für einen Luxusliner aus der Papenburger Meyer-Werft ausgebaggert / Schaulustige und Umweltschützer beäugten die „Oriana“ auf dem engen Weg zum weiten Meer  ■ Vom Deich Bernhard Pötter

Mit dröhnender Schiffssirene verabschiedet sich der weiße Riese aus dem Hafen. Die „Oriana“, der große Stolz der Papenburger Meyer-Werft, nimmt langsam Fahrt auf und gleitet durch die Hafenschleuse in den Fluß. Ein grauer Sonntagmorgen mit kaltem Nieselregen hüllt die Schaulustigen ein, die keine fünf Meter entfernt vom Rumpf des Schiffes dicht beieinander auf dem Deich stehen. Keine triumphale Musik, kein fröhliches Fähnchenschwenken, keine feierlichen Reden. Über Papenburg liegt Anspannung.

Der Besatzung des Schiffes steht eine dreistündige Konzentrationsübung bevor: Der Ozeanriese quetscht sich kaum manövrierfähig durch einen Wiesenfluß zum offenen Meer, vierzig Flußkilometer voller Tücken. Ein einziger Fahrfehler kann Millionenschäden verursachen und den Ruf der Werft, des größten Arbeitgebers in der Region an der holländischen Grenze, ruinieren.

Schon früher hat die Werft und mit ihr Papenburg vor dem Transport der nagelneuen Ozeanriesen gezittert. Doch die „Oriana“ ist kein gewöhnliches Schiff. Das größte je in Deutschland gebaute Kreuzfahrtschiff, das an diesem Sonntag auf kleine Fahrt nach Emden am Meer geht, ist für die Menschen im Emsland und Ostfriesland zum Symbol geworden: Den einen gilt es als Zeichen für die Leistungsfähigkeit einer ansonsten wirtschaftlich schwachen Region – den anderen für verfehlte Standortpolitik und rücksichtslose Flußbaggerei.

Symbol für die Wirtschaft im Emsland

Die – so der Chef der Meyer-Werft – „schweigende Mehrheit“ ist an diesem Sonntag zum Deich gepilgert, Zehntausende, die das Flußfahrtspektakel bestaunen. Die anderen sind ein kleines Häufchen Naturschützer und Fischer, die sich heute nur noch mit einer Kreide- Inschrift auf dem Deich zu Wort melden: „Rettet die Ems“.

Kein Schiff im Emsland war so umstritten wie dieses. Was die Umweltschützer bekämpften, war nicht eigentlich die „Oriana“, sondern die für ihren Transport zur Nordsee erforderliche Vertiefung der Ems. Denn die Meyer-Werft, ein 200 Jahre alten Familienbetrieb, hat sich inzwischen auf Luxusliner der Sonderklasse spezialisiert. Mit der „Oriana“ glaubt sie, den Beweis erbracht haben, daß Schiffe dieses Kalibers auch in Zukunft in Papenburg gebaut und über die Ems ins Meer gebracht werden können. Meyer-Papenburg ist eine der wenigen deutschen Werften, deren Auftragsbücher nach wie vor gut gefüllt sind.

„Eine gute Werft, aber leider am falschen Standort“, meinen dagegen die Umweltverbände. Wie gut die Werft wirklich ist, wird sich zeigen: In Papenburg lief schließlich auch die „Estonia“ vom Stapel, die im letzten Jahr in der Ostsee sank. Noch ist die Frage ungeklärt, ob der Unfall auf einen Konstruktionsfehler der Werft zurückgeht. Wenn Meyer Zukunft haben wolle, meinen die Umweltverbände, müsse die Werft ans tiefe Wasser umziehen, zum Beispiel nach Emden. Dagegen aber wehrt sich der Betrieb. Ein Umzug wäre teuer, während die Ems als Bundeswasserstraße auf Kosten der Steuerzahler regelmäßig nur für Meyer ausgebaggert wird. Allein die Vertiefung für die „Oriana“ soll laut BUND etwa 60 Millionen Mark gekostet haben.

Die Politik des jetzigen Chefs Bernard Meyer ist simpel, aber umstritten: Die Werft nimmt nämlich mit unschöner Regelmäßigkeit Aufträge für den Bau von Schiffen an, die nicht durch die Ems passen. Ist der Auftrag an Land gezogen, ist die weitere Emsvertiefung unvermeidbar. Antrag gestellt, Antrag genehmigt, das war das normale Verfahren. Bis zum September 1993.

Einmal unterwegs, gibt es für die „Oriana“ kein Zurück mehr. Wie auf Zehenspitzen bewegt sich der Koloß stromabwärts. Ihre 70.000 Bruttoregistertonnen, ausgelegt für die sieben Weltmeere, sind jetzt eingezwängt in einer schmalen Fahrrinne, die in engen Kurven weniger als einen Meter Platz zum Manövrieren läßt. 260 Meter Länge in einem Fluß mit Kurvenradien von 700 Metern, 7,30 Meter Tiefgang in einem Fluß, der noch 1983 nur 4,60 Meter tief war und dem Schiff auch jetzt nur knapp die gewünschte Handbreit Wasser unter dem Kiel liefert: In Papenburg hat man gelernt, mit Zentimetern zu rechnen. Das Traumschiff für 470 Millionen gleitet bei der Ausfahrt aus dem Papenburger Hafen mit seinen 56 Meter hohen schneeweißen Deckaufbauten unter den eigens für diesen Anlaß in die Höhe gezogenen Hochspannungsleitungen durch. Der Strom ist abgeschaltet.

Im September 1993 indes stand die gesamte Region unter Hochspannung. In einem sensationellen Urteil hatte das Oberverwaltungsgericht Lüneburg acht Fischerfamilien aus Ditzum an der Emsmündung in ihren Klagen gegen die Emsvertiefung recht gegeben und die Erlaubnis zum Baggern widerrufen. Die „Oriana“ saß halbfertig im Dock. An der Werft hängen in Papenburg knapp 2.000 Arbeitsplätze, weitere 2.500 in Zulieferbetrieben. All dies gefährdet, weil acht Fischer keine Aale mehr aus der Ems zogen?

Die Fischer mußten sich wütender Anrufe und zorniger Besuche der Werftarbeiter erwehren. Schließlich gaben sie unter dem Druck der gesamten Region nach und zogen ihre Klage zurück. Meyer hatte zugesagt, sie beim Bau neuer Schiffe zu unterstützen, mit denen sie nicht mehr in der Ems, dafür in der gesamten Nordsee fischen können.

Fischer und Naturschützer zogen ihre Klagen zurück

Jan Bruhns ist einer von ihnen. Seit Sonntag morgen, 8.32 Uhr, ist der Ditzumer Fischer um eine halbe Million Mark reicher: „Sobald das Schiff den Hafen verläßt, muß Meyer zahlen.“ Ende 1995 sollen die Schiffe bereitstehen, aber auf Meyer ist Bruhns immer noch schlecht zu sprechen. Das Fischen auf hoher See, die Arbeit über mehrere Tage und Wochen am Stück: „Das ist ja alles Neuland für uns“, meint er. Neugierig auf die Fahrt der „Oriana“ ist Bruhns nicht: „Wenn die hier vorbeikommt, werde ich vielleicht mal über den Deich gucken. Aber von mir aus kann das Schiff im Schlick steckenbleiben.“ Den Gefallen tut ihm die „Oriana“ nicht. Die Wetterbedingungen sind gut: Kein Nebel, kein Wind und eine Flutwelle, die 10 Zentimeter höher aufläuft als geplant. Denn trotz der Baggerei kann das Riesenschiff nur auf einer hohen Tide die Ems hinunterreiten. Das erste Nadelöhr durchquert der weiße Riese bei Weener: Aus der Eisenbahnbrücke hat ein Spezialschiff den Mittelteil ausgeklinkt. Im Schrittempo steuert das Schiff exakt zwischen den Pfeilern der Brücke durch.

Auf den Straßen parallel zum Fluß stauen sich Ausflugsbusse. Auf dem Deich richten die Einheimischen ebenso wie die Gäste aus den Niederlanden oder die Karnevalsflüchtlinge aus dem Rheinland ihre Ferngläser aus, doch jubeln tut niemand. Mit friesischem Gleichmut erträgt man den Nieselregen und schüttelt bewundernd den Kopf: „Das sieht schon toll aus, dieser Riesenpott“, meint eine Frau unter ihrem Regenschirm hervor. Eine Mutter findet unversehens ihre zwei Kinder, die in Gummistiefeln am Ufer gespielt haben, bis zu den Knien im Wasser wieder. Die Welle, die die „Oriana“ vor sich herschiebt, überflutet das Ufer.

„Ja, das ist faszinierend, so ein schwimmendes Hochhaus, keine Frage“, meint widerstrebend auch Robert Exner vom BUND. Wie auf einem privaten Betriebsausflug stehen er und andere Umweltschützer auf dem Deich. Die Warnungen der Umweltschützer vor dem „Alptraumschiff“ aus der Meyer-Werft bleiben für ihn trotz der gelungenen Fahrt gültig: Im begradigten und verkürzten Fluß vergrößerten sich Tidenhub und Strömung, das Niedrigwasser werde abgesenkt, ökologisch wichtige Altwasser- und Seitenarme fallen trocken. Und natürlich verschwinden die Fische, wo gebaggert wird.

Für den Verzicht einer Verbandsklage gegen die Vertiefung haben die Umweltverbände dem Land Niedersachsen immerhin 17,5 Millionen Mark abgetrotzt – zu verwenden für Umweltmaßnahmen im Gebiet der Ems. Den Bau der „Oriana“ stützte Niedersachsen mit einer Ausfallbürgschaft von 50 Millionen.

Papenburg und seine Bewohner hat der BUND in schlechter Erinnerung. Als die Wogen beim Thema Emsvertiefung hoch gingen, versuchten sie, allen voran der CDU-Bürgermeister Heinrich Hövelmann, einen Marsch durch die Institution BUND. Der Verband, der im ganzen Emsland nur etwa 500 Mitglieder hat, sah sich plötzlich 500 Neueintritten gegenüber. Die Ziele des BUND, Umweltschutz und so, unterstütze er voll und ganz, erklärte Hövelmann. Nur könne der Verband seine neu eintretenden Mitglieder nicht auf eine bestimmte Politik zum Thema Emsvertiefung verpflichten. Dem BUND, dem angst und bange wurde, sprang ein Gericht in Hannover bei: Eine Verpflichtung zur Aufnahme der geballten Ladung Werftenlobby gebe es für die Umweltschützer nicht, meinten die Richter.

„Wir werden auch noch größere Schiffe bauen“

Kurz vor dem Ende der ersten Etappe muß die „Orania“ eine enge Rechtskurve nehmen, letzter Akt der ersten Etappe. Dann macht das Schiff in Leer fest und fährt mit der nächsten Flut weiter nach Emden. Hier, am seetiefen Wasser, wird die „Oriana“ voll ausgerüstet und beladen – unter anderem mit den 14 Rettungsbooten, die allein über die Ems fahren. Ein freudestrahlender Werftenboß erklärt, er sei „überglücklich, daß alles so hervorragend geklappt hat“. Er lobt das Lotsenteam und scherzt mit der Presse. Ernst wird Bernard Meyer allerdings bei der Frage nach dem Bau größerer Schiffe. Auch wenn er sich gegenüber den Naturschützern und Fischern darauf festgelegt hat, daß die Vertiefung für die „Oriana“ die letzte gewesen sei: „Wenn der Markt größere Schiffe erfordert, werden wir sie auch in Papenburg bauen.“ Also wieder Bagger marsch? Die Grenze für die Ems- Ausbaggerungen liegt derzeit bei neun Metern. So tief liegt der Emstunnel bei Leer.