Italiens Lira vorm Bankrott

Katastrophaler Währungssturz trotz Wirtschaftsbooms  ■ Aus Rom Werner Raith

An Zuspruch und Gesundbeterei mangelt es wahrlich nicht: Wirtschaftsgurus wie John Kenneth Galbraith oder Franco Modigliani, strenge Forschungsinstitute wie Moody's und gar die Weltbank bescheinigen Italiens Wirtschaft höchst erfreuliche Perspektiven. Sie loben den – mit weit über sechs Prozent – an der Spitze der Hitliste liegenden Zuwachs des Bruttosozialprodukts. Und sie stellen die antizyklische Politik des Fiat-Konzerns als Musterbeispiel vorausschauender Politik dar, weil er trotz der Krise der vergangenen Jahre voll auf neue Modelle gesetzt hat und nun erstmals wieder schwarze Zahlen einfährt. Auch der gestern beschlossene 20-Billionen-Lire-Nachtragshaushalt, den die Regierung Dini zusammengestellt hat und der unter anderem umweltschädliche Waren wie Tabak und Benzin verteuert, gefällt den Experten rundum.

Doch nichts zu machen: Italiens Währung stürzt und stürzt; Mitte der Woche bekamen die Deutschen schon mehr als 1.100 Lire für ihre „Deutschmark“; vor zwei Monaten waren es noch 1000, vor zweieinhalb Jahren 650. Kopfschüttelnd verbuchen die Notenbanker in Roms Palazzo Koch die Unaufhaltsamkeit des Verfalls: „Da kann man nur noch mit höherer Psychologie deuten“, sagt der Chef der Banca d' Italia, Fazio. Und Regierungschef Lamberto Dini, soeben von einer Werbetour aus Washington zurück, vermutet „hier fast nur noch irrationale Entscheidungen – oder Spekulanten am Werk, die Italien kaputtmachen wollen“.

Tatsächlich aber sind es wohl vor allem die Unwägbarkeiten, die Investoren abschrecken und freiwerdende Gelder ins Ausland treiben: Niemand weiß, wie lange Dini sein Sanierungswerk weiterbetreiben kann, da ihn seine vormaligen Unterstützer der Rechten, allen voran Ex-Regierungschef Berlusconi, schon aus Mißgunst ständig vorführen und seine Vorschläge ablehnen. Niemand kann außerdem voraussagen, wann die von der Rechten ersehnten, von der Linken blockierten Neuwahlen tatsächlich stattfinden werden, und niemand weiß schließlich, ob Neuwahlen überhaupt eine stabile Mehrheit schaffen könnten. Sieht man von den soeben durch Abspaltung des Mussolini-nostalgischen Flügels einigermaßen kompakten Rechten der Nationalen Allianz ab, stehen alle Formationen in Italien vor internen Zerreißproben.

Selbst die Forza Italia des im Dezember gestürzten Silvio Berlusconi zerfällt in Falken und Tauben – letztere wollen das Bündnis mit der äußersten Rechten aufkündigen, um in der Mitte mit den Ex- Christdemokraten der „Italienischen Volkspartei“ eine Koalition eingehen zu können. Die aber ist ihrerseits im Zerfall, weil der linke Flügel nichts mit Berlusconi und Co zu tun haben will und mit dem angesehenen Wirtschaftsmanager Romano Prodi einen Antiberlusconi präsentiert hat, den auch ein Teil der Linken unterstützt. Wobei freilich das Lieblingsprojekt dieser Linken, eine große, allumfassende Partei der „fortschrittlichen Kräfte“, kaum vorankommt. Das liegt vor allem daran, daß die äußerste Linke, die Rifondazione comunista, sich akzentuiert proletarisch gibt und ansonsten in Linksdemokratenchef Massimo D'Alema einen Ausverkäufer sozialistischer Ideen sieht.

Zu alledem will nun die „Liga Nord“, deren Austritt aus der Koalition den Sturz Berlusconis bewirkt hatte, einen eigenen Weg gehen – sie wird wohl Parlamentspräsidentin Irene Pivetti als Kandidatin fürs Amt des Regierungschefs aufbauen. Pivetti hat die Hochschätzung des erzkatholischen Staatspräsidenten Oscar Luigi Scalfaro und eines Teils des Episkopats. Damit dürfte sie für eine weitere Aufspaltung der katholischen Stimmen und somit auch für weitere Unwägbarkeiten bei der Bildung von Koalitionen sorgen. Für weitere Beutelei der Lira ist also ohne allen Zweifel gründlich vorgesorgt.